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Pilatus:

Henker wider Willen?



Betrachtungen eines Staatsanwalts



von Hubert Kepper
 
DAS BESONDERE ERLEBNIS?
Ein HIstoriker aus Bonn stellte an den Autor die Frage,ob ihn außer seiner normalen beruflichen Tätigkeit als Staatsanwalt "ein besonderes Erlebnis zu der subtilen Beschäftigung mit Pilatus veranlaßt habe?"

Die Antwort darauf ließe sich - so der Autor - bei aufmerksamer Lektüre dem Text entnehmen.
 
Abbildung:
Der Autor des Buches
Lt. Oberstaadsanwalt a.D.
Hubert Kepper

Der Verfasser
des Buches war früher beruflich
als leitender Oberstaatsanwalt
bei der Generalstaatsanwaltschaft
in Düsseldorf (NRW) tätig.


Betrachtungen eines Staatsanwalts.
In dieses spannend erzählte Buch sind die beruflichen Erfahrungen
eines Lebens als Staatsanwalt eingeflossen.
"...Zu allen Zeiten waren Rechtsfindung, Rechtsprechung und Strafverfolgung von vielschichtigen Motiven und vielfältigen Umständen
geprägt. Deutlich wird das in besonderer Weise am Beispiel des Pilatus. Das zu zeigen und an letzte Fragestellungen und Dimensionen
heranzuführen, ist Anliegen dieses Buches."
 
    AUSZUG AUS DEM BUCH  
  AUSZUG AUS DEM BUCH

PILATUS HENKER WIDER WILLEN ?
3
Hubert Bruno Kepper
Pilatus
Henker wider Willen
Betrachtungen eines Staatsanwalts
Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt
©2003 Hubert Bruno Kepper
Lacher St. 44, 42657 Solingen
Satz und Gestaltung:
Moni Bauer, Freiburg (moni_bauer@gmx.de)
4
5
Christus und Pilatus
-Max Beckmann- (1946)
HUBERTBRUNO KEPPER
PILATUS
HENKER WIDER WILLEN ?
BETRACHTUNGEN EINES
STAATSANWALTS
INHALT
GERECHTIGKEITAUS MENSCHENHAND 11
Rückblick eines Staatsanwalts 11
Der Volksgerichtshof 15
SBZ - DDR - Waldheimprozesse - staatliches Strafen 19
DAS UNTERDRÜCKTE ISRAEL 26
Ort des Prozesses - Jerusalem 26
Das auserwählte Volk 27
Das römische Sendungsbewusstsein 29
Das unterdrückte Volk - Messiaserwartung 31
DIE UNTERDRÜCKER 36
Der îGeneralgouverneurî Pilatus 36
Spannungen 38
Weiheschilde und Massaker 42
Ende einer Laufbahn und Legenden 44
KURZER PROZESS GEGEN DEN KÖNIG DER JUDEN 48
Informationsquellen 48
Erinnerungsversuch des Pilatus 51
Suche nach Beweggründen 60
Schuldzuweisung - Blutspruch 62
Zweierlei Sicht 65
Machterhalt - Gerechtigkeit und Liebe 70
ANMERKUNGEN 74
9


10
GERECHTIGKEITAUS MENSCHENHAND
Rückblick eines Staatsanwalts
Leser dieser Betrachtungen werden recht unterschiedliche Vorstel-
lungen von Juristen haben, die in der Strafverfolgung tätig sind. Die
meisten von Ihnen haben erfreulicherweise keine persönlichen Erfah-
rungen mit der Strafjustiz gemacht. Ihr Wissen haben sie aus der
Literatur und in jüngerer Zeit vor allem aus Film- und Fernseh-
aufführungen.
Ich, der Verfasser, (Jahrgang 1922), übte den Beruf eines Staats-
anwalts länger als 35 Jahre in den unterschiedlichsten Aufgaben-
gebieten aus, zuletzt als Abteilungsleiter bei einer Generalstaats-
anwaltschaft als Leitender Oberstaatsanwalt.
In meiner beruflichen Tätigkeit wurde ich konfrontiert mit ganz ge-
wöhnlicher Kriminalität wie Diebstahl, Raub, Betrug, Tierquälerei,
Mord, Totschlag, Kinderschändung, mit Falschmünzerei, Vergewalti-
gungen, Beleidigungen, Verkehrsdelikten und anderen îalltäglichenî
Straftaten sowie mit Ordnungswidrigkeiten. Dazu kamen in meiner
Anfangszeit auch "läppischeî Delikte wie Bettelei und Landstreiche-
rei, die heute nicht mehr strafbar sind.
11

Während einer langen Zeitspanne hatte ich politische Straftaten zu
verfolgen, unter anderem Verfahren wegen des Vorwurfs der Fort-
führung der durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.
August 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands
(KPD). Beschuldigte in diesen Verfahren waren auch Personen, die
lange Jahre während der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkür-
herrschaft in Konzentrationslagern von den Nazis eingesperrt ge-
wesen waren und dort gelitten hatten.
Später war ich jahrelang mit der Verfolgung nationalsozialistischer
Verbrechen befasst. In den letzten Jahren meiner Tätigkeit hatte ich
unter anderem Dienstaufsichts- und Disziplinar- und Verwaltungs-
sachen zu bearbeiten.
Oft handelte es sich dabei neben schweren Verstößen gegen die
Pflichten eines Beamten um unbedeutende und belanglose Vorwürfe.
Beispielsweise um die Weigerung eines Staatsanwalts - wegen an-
geblicher Überlastung - zwei Referendare zur gleichen Zeit auszu-
bilden.
Mühselige Entfaltung der Geistestätigkeit von mehr als zehn Kollegen
war gefordert, die Ñkontrollierte Durchfuhrî von Rauschgifttrans-
porten zu prüfen; dabei handelte es sich darum, die (sofortige)
Strafverfolgung (Legalitätsprinzip) zurückzustellen mit dem Ziel,
statt der Ñkleinen Fischeî (Transporteure), die "großen Hintermännerî
fassen zu können. Auch andere, so genannte Verwaltungssachen, wa-
ren zu erledigen, Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben zu veran-
lassen, zu prüfen, und an das Justizministerium weiterzuleiten, wo-
bei nur selten solcher Tätigkeit Erfolg beschieden war.
Die Fülle des Zeitgeschehens erlebte ich während meiner Berufszeit
in seiner ganzen Vielfältigkeit, wobei es wichtig war, sich von der
12
jeweiligen Strömung nicht verwirren zu lassen und über den Teller-
rand des juristischen Alltags hinauszublicken.


Mit den unterschiedlichsten Menschen, jungen und alten, geistrei-
chen und einfältigen, intelligenten und landläufig dummen hatte ich
es zu tun. Von den Beschuldigten waren manche bösartig, sadistisch-
grausam und gemeingefährlich. Viele hatten geistige Defekte.
Zahlreiche Beschuldigte kamen aus ärmlichen Verhältnissen, und es
gab aber auch nicht wenige aus wohlhabenden und angesehenen
Familien. Manche machten den Eindruck, ernsthaft religiös zu sein.
Andere bezeichneten sich stolz als Atheisten. Den unterschiedlichen
Beschuldigten entsprach die vielfältige Palette der zu untersuchen-
den Straftaten.
An einzelne Verbrechen vermag ich nur mit Schaudern zu denken.
Ich war gezwungen wie es so hieß - mir eine "dicke Hautî zuzule-
gen. Ich sehe davon ab, hier die ungeheuerlichen, unvorstellbaren
Massentötungen in Vernichtungslagern darzulegen.
Einige Gewaltverbrechen will ich aber doch, um die ganze Breite
meiner Tätigkeit sichtbar zu machen, erwähnen.
In Erinnerung geblieben ist mir das Zu-Tode-Schinden gefangener
englischer Fallschirmagenten im September 1944 im Konzentrations-
lager Mauthausen. Siebenundvierzig Männer wurden im dortigen
Steinbruch innerhalb zweier Tage ums Leben gebracht. Wohl alle
Täter waren als Kinder christlich getauft worden.
Aus vermeintlichem Pflichtbewusstsein und wegen eines Forschungs-
auftrags gaben sich auch ÑGebildeteì zu grausamen Handlungen an
Wehrlosen her. Ich denke an das Schicksal dreier zum Tode verur-
teilter Verbrecher im Konzentrationslager Sachsenhausen. An ihnen
wurde im September 1944 die Wirkung nachgebauter Giftmunition
13
- die Originalmunition war an der Ostfront erbeutet worden - erprobt.
Die drei Häftlinge wurden durch eine leichte Schussverletzung mit
vergifteten Geschossen ins Gesäß verwundet. Die Opfer quälten sich
unter den Augen der anwesenden "Wissenschaftlerî über zwei lan-
ge Stunden zu Tode.


Im Gedächtnis sind mir auch manche Einzeltäter und ihre strafbaren
Handlungen geblieben: Ein Sadist hatte zur Befriedigung seines abar-
tigen Geschlechtstriebs Jungen, die als Anhalter zu ihm ins Auto ge-
stiegen waren, mit seinem scharf abgerichteten Schäferhund bedroht
und sie unbarmherzig durch Brandverletzungen gequält. Derselbe
Mann zeigte eine innige Liebe zu seiner Mutter ("meine liebe
Mamaî). Er hatte es auch verstanden, als sympathischer Schwätzer
mehr als zwanzig clevere Geschäftsleute einzuwickeln und ohne je-
de Gegenleistung um erhebliche Geldbeträge zu prellen.
Mitunter hatte ich aber auch weniger schwerwiegende Straftaten zu
verfolgen. Das Zusammentreffen mit dreisten oder einfältig harm-
losen und auch kuriosen Personen blieb mir manches Mal nicht er-
spart: Auf einem Ball begrüßte mich in festlicher Kleidung, beinahe
freundschaftlich und fast vertraulich, ein älterer - seriös auftretender
- Arzt, der mir am Vormittag als Angeklagter gegenübergestanden
hatte wegen des Vorwurfs, eine schwangere Frau zu einer
"Engelmacherinî vermittelt zu haben. Der Arzt war an diesem Tage
bestraft worden.


Eines Tages suchte mich eine besorgte Mutter in meinem Dienst-
zimmer auf und bat um Verständnis für ihren îlieben Jungenî, der
die "lästigeî Großmutter mit vorgehaltener Pistole hatte zwingen
wollen, in ein mit Rattengift beschmiertes Butterbrot zu beißen.
Schließlich denke ich an die völlig unsinnige, ohne jede "Erfolgs-
14
aussichtî begangene Tat eines Jugendlichen - noch während der eng-
lischen Besatzungszeit - , der mit Leidenschaft "Landserhefteî ver-
schlungen hatte. Er "stürmteî mit scharfgeladenem Karabiner be-
waffnet und mit einer Gasmaske angetan, eine britische Wachstube
und schoss zwei völlig überraschte englische Soldaten an.
In diesem Falle und in nicht wenigen anderen Verfahren beauftrag-
te ich hilfesuchend medizinische Sachverständige mit der Prüfung
der Verantwortlichkeit der Beschuldigten. Meistens waren die
Sachverständigen hilfreich.
DerVolksgerichtshof
Als ich meinen Beruf anfing, war es noch üblich, im Gerichtssaal ein
Barett zu tragen. Als "Beamter auf Widerrufî, der noch nicht sicher
war, ob er in den Staatsdienst übernommen würde, stellte ich den
Kauf einer nach dem Zweiten Weltkrieg doch recht sonderbar an-
mutenden Kopfbedeckung zunächst zurück. Ein älterer und erfahre-
ner Kollege lieh mir sein Barett für den Sitzungsdienst.
Was war unter diesem Barett schon alles gedacht worden? Der
Kollege hatte mit dieser Kopfbedeckung angetan unter anderem auch
vor dem Volksgerichtshof in Berlin plädiert.
Beim Volksgerichtshof (1934 bis 1945) gab es sicher auch hochin-
telligente und hervorragend qualifizierte Juristen. Waren das nüch-
tern und scharf denkende nur dem Recht verpflichtete Männer? (Es
findet sich kein Hinweis, dass auch Frauen darunter gewesen wären.)
Waren die Mitglieder des Volksgerichtshofes "nurî Diener des Staates,
15
die einen "hartenî Beruf ausübten und "ihre Pflicht für das Ganzeî
taten? Oder sahen sie ihre Tätigkeit nur als "Broterwerbî und als
Stufenleiter zum Aufstieg an?
In den Jahren 1940 bis 1944 standen 12.500 Menschen vor den
Schranken dieses Gerichtshofs, von denen mehr als 5.000 zum Tode
verurteilt und hingerichtet wurden. Von den 12.500 Verfolgten wur-
den lediglich 900 freigesprochen; in den übrigen Fällen wurde auf
Freiheitsstrafen erkannt.1


Waren die Angehörigen des Volksgerichtshofs "Henker wider Willenî?
Was war beispielsweise Dr. Roland Freisler (geboren 1893, gestor-
ben am 3. Februar 1945 bei einem Luftangriff auf Berlin) für ein
Mann? Was war er für ein Richter?
Über ihn2 heißt es, er sei ein zum Nationalsozialismus "bekehrterî
Kommunist gewesen. Von 1942 bis 1945 war er Präsident des
Volksgerichtshofes und Vorsitzender des Ersten Senats. Er hatte sich
in einem devoten Brief für die Ernennung bedankt. Am 15. Oktober
1942 schrieb er an Adolf Hitler:3
"... ich bin stolz, Ihnen, mein Führer, dem obersten Gerichtsherrn
und Richter des deutschen Volkes für die Rechtsprechung ihres höch-
sten politischen Gerichts verantwortlich zu sein... Der Volksgerichts-
hof wird sich stets bemühen so zu urteilen, wie er glaubt, dass Sie,
mein Führer den Fall selbst beurteilen würden.î
Freisler schließt mit: îHeil meinem Führer! In Treue, Ihr politischer
Soldat Roland Freisler.î
Und was war der damalige Reichsminister der Justiz Dr. Otto Georg
Thierak (geboren 1889; gestorben durch Selbstmord im Oktober 1946
- von 1936 bis 1942 Präsident des Volksgerichtshofs; von 1942 bis
1945 Reichsminister der Justiz -) für ein Mann? Er war sicherlich
16
ein - wie es im einschlägigen Sprachgebrauch auch heute noch for-
muliert wird - "hoch-qualifizierterî Jurist und ein überzeugter Natio-
nalsozialist. Was veranlasste ihn zu einem fernschriftlichen "Sitzungs-
berichtî4über seinen Nachfolger als Präsident des Volksgerichtshofes,
den kalten Freisler, an den "Sekretärî Hitlers, den Reichsleiter
Bormann, im Führerhauptquartier am 9. September 1944?
Das Fernschreiben lautete:
"Sehr geehrter Herr Reichsleiter!
... die Verhandlungsführung des Vorsitzers (Freisler) war bei
den Angeklagten Wirmer und Goerdeler unbedenklich und
sachlich, bei Lejeune-Jung etwas nervös. Leuschner und von
Hassell ließ er nicht ausreden. Er überschrie sie wiederholt.
Das machte einen recht schlechten Eindruck, zumal der
Präsident etwa 300 Personen das Zuhören gestattet hatte. Es
wird noch zu prüfen sein, welche Personen Eintrittskarten er-
halten haben. Ein solches Verfahren in einer solchen Sitzung
ist sehr bedenklich. Die politische Führung der Verhandlung
war sonst nicht zu beanstanden. Leider redete er aber Leusch-
ner als Viertelportion und Goerdeler als halbe Portion an und
sprach von den Angeklagten als Würstchen. Darunter litt der
Ernst dieser gewichtigen Versammlung erheblich. Wiederholte
längere, nur auf Propagandawirkung abzielende Reden des
Vorsitzers wirkten in diesem Kreise abstoßend. Auch hierun-
ter litt der Ernst und die Würde des Gerichts. Es fehlt dem
Präsidenten völlig an eiskalter, überlegener Zurückhaltung,
die in solchem Prozess allein geboten ist...
Heil Hitler! Ihr gez. Dr. Thierackî.
1

Nochmals sei die Frage gestellt, was für Leute waren die an diesen
Verfahren beteiligten - wie es heißt - "hochqualifiziertenî Juristen?
Wie konnten so zahlreiche Todesurteile gefällt werden? Konnten die
Richter noch ruhig schlafen, waren sie Karrieristen, Ehrgeizlinge,
die aufsteigen wollten? Wie besessen waren sie vom Standesdünkel
und von der Gloriole ihrer Unfehlbarkeit? Wollten sie der Erwartung
entsprechen, die sie von der Führung erahnten? Die Vokabel vom
"vorauseilenden Gehorsamî war damals noch nicht ausformuliert.
Fragen wir grundsätzlich: Gab es vielleicht in der menschlichen
Geschichte schon immer Strafverfolger ähnlichen Charakters?
18
SBZ - DDR - Waldheimprozesse ó staatliches Strafen
Ein Rückblick zeigt: Auch in jüngerer Vergangenheit sind Gerichte
in erschreckender Weise gegen Menschen vorgegangen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 sind auf dem Terri-
torium der sowjetischen Besatzungsmacht (SBZ) etwa 120000
Personen "interniertî worden - u.a. makabererweise - in den ehemali-
gen Nazi-Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald.
Ihnen wurde pauschal - meist ohne Nachweis einer persönlichen
Schuld - vorgeworfen, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit begangen, faschistischen Organisationen angehört
zu haben oder für die Ziele des Nationalsozialismus eingetreten zu
sein. Unter den Gefangenen befanden sich auch zahlreiche ehema-
lige kleine oder mittlere Funktionäre (beispielsweise der Schauspieler
Heinrich George) und auch Personen, die lediglich denunziert wor-
den waren. Von den îInterniertenî kamen etwa 40000 - also ein Drittel
- zu Tode. Mehr als 750 Personen sind von sowjetischen Tribunalen
zum Tode verurteilt worden. In dem genannten Konzentrationslager
Buchenwald waren während der Zeit der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft über 50.000 Häftlinge umgekommen bzw. getötet
worden, unter ihnen der Führer der KPD, der Kommunistischen Partei
Deutschlands, Ernst Thälmann.
Im Jahre 1950, also fünf Jahre nach dem Zusammenbruch der
Naziherrschaft, waren noch mehr als 20.000 Personen - ohne Urteil
- inhaftiert. Im Zuge der Gründung der DDR (Deutsche Demo-
19
kratische Republik) wurden Anfang des Jahres 1950 von der so-
wjetischen Besatzungsmacht den deutschen Behörden 3442
Gefangene zu einer - wie es hieß - raschen und strengen Aburteilung
"übergebenî und in das Zuchthaus Waldheim überstellt. Hier wur-
den zur Aburteilung der Gefangenen 20 Strafkammern gebildet;
Richter und Staatsanwälte waren besonders ausgewählt worden. Die
Führung der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) hat
auf Richter und Staatsanwälte in "Besprechungenî und "Beratungenî
massiv Druck ausgeübt, um hohe Strafen zu erwirken, wobei jedoch
persönliche oder berufliche Konsequenzen nicht angedroht wurden.
Der Hinweis auf "politische Konformitätî und auf die "Partei-
disziplinî genügte vielmehr, um Richter und Staatsanwälte durch-
weg zu der erwarteten Handlungsweise ("Erwartungshaltungî) an-
zuspornen. Vereinzelte kritische Äußerungen wurden entsprechend
dem damaligen Sprachjargon als "Hang zum Objektivismusî,
"Trotzkismusî oder schlicht als Versagen gerügt. Die Richter sollten
stets den politischen Charakter der Verhandlungen beachten und "un-
genügende ideologische Klarheitî sowie "formaljuristische Beden-
kenî überwinden.
Fast alle Richter und Staatsanwälte entsprachen willfährig der ihnen
angesonnenen "Erwartungshaltungî, in ähnlicher Weise, wie es die
Richter getan hatten, die während der Naziherrschaft in "vorausei-
lendem Gehorsamî gehandelt hatten.
In der Zeit zwischen dem 26. April und dem 14. Juli 1950 wurden
von diesen Strafkammern in den so genannten Waldheim-Verfahren
verurteilt:4a
14 Personen zu Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren,
371 Personen zu Strafen von 5 bis 10 Jahren,
20
960 Personen zu Strafen von 10 bis 15 Jahren und
1.820 Personen zu Strafen von 15 bis 25 Jahren.
148 Gefangene erhielten lebenslange Freiheitsstrafen.
32 Gefangene wurden zum Tode verurteilt, von denen vierundzwanzig
noch am 4. November 1950, also mehr als fünf Jahre nach dem Ende
des Krieges, hingerichtet worden sind. Keine der Verhandlungen hat
damals länger als eine bis höchstens eineinhalb Stunden gedauert.
Bemerkenswert ist: Nur 14 Personen erhielten Freiheitsstrafen bis
zu 5 Jahren; Freisprüche sind nicht bekannt geworden.
Ein Waldheim-Richter drückte später seine Situation hilflos mit den
Worten aus, man habe schon manchmal "Bauchkneipenî gehabt.
Als besonders harte Richterin ist die Vizepräsidentin des Obersten
Gerichts der DDR (1949 - 1953), die 1902 geborene Hilde Benjamin
("rote Hildaî), eine überzeugte Kommunistin, zu erwähnen. Sie fäll-
te Urteile von grausamer Härte, die in keinem Verhältnis zu den
Handlungen standen, die den Angeklagten vorgeworfen wurden.
Angesichts dieser - und zahlreicher anderer - harter Urteile aus der
jüngeren und jüngsten Vergangenheit drängt sich zwangsläufig wie-
derum die Frage nach der Strafverfolgung in früheren Zeiten auf.
Wie war es um die Gerechtigkeit in der Strafjustiz überhaupt bestellt?
War das Verhalten, waren die Urteile der Strafrichter überhaupt von
lauteren Motiven geprägt? Waren Richter Ängsten oder Rache-
gefühlen verfallen oder von Grund aus sadistisch verderbt? Hatten
sie überhaupt eine Vorstellung von dem Sinn und Zweck obrigkeit-
lichen Strafens? Machten sie sich Gedanken über die Auswirkungen
ihrer Urteile?

Die Gefahr besteht, über den obigen Satz hinwegzulesen und sich
ihn nicht bewusst zu machen "...von denen 24 Personen... hinge-
richtet worden sindî. Welch? grauenhaftes Leid wurde den einzel-
nen Familien zugefügt? Welche Todesangst hatte jeder einzelne
Verurteilte in seinen letzten Stunden auszustehen, in denen er nach
einem Weiterleben bangte, bis schließlich die vage Hoffnung auf ei-
nen Gnadenerweis zu schanden ging. Waren die Strafrichter und
Staatsanwälte solch` menschlicher Gedanken überhaupt fähig? Oder
hätten sich manche gar eingestehen müssen, was Wolfgang Borchert
in seinem Drama "Draußen vor der Türî den aus dem Grauen des
Krieges heimkehrenden Soldaten Beckmann sagen ließ: "Und manch-
mal hat es sogar Spaß gemachtî?
Wer der Frage des Bestrafens von Menschen durch Menschen im
Laufe der Geschichte nachgeht, stößt zwangsläufig auf die meines
Erachtens drei bedeutendsten Prozesse der Weltgeschichte:
Gegen Sokrates, der 399 v. Chr. den Schierlingsbecher nehmen musste,
gegen Galilei, der 1642 unter der fortdauernden Angst, den Schei-
terhaufen besteigen zu müssen, erkrankt und erblindet ständig be-
argwöhnt von der Inquisition, sein Leben fristete, und wie war es bei
dem Prozess gegen Jesus von Nazareth, gegen den Pontius Pilatus
am 7. April des Jahres 30 n. Chr.5den Richtspruch fällte:
"Ibis in crucem!î - "ans Kreuz mit Dir."
Die Fragen über den Prozess gegen Jesus haben in der Geschichte
nie aufgehört. Bei den Überlegungen und Nachforschungen zu die-
sem Geschehen überrascht die Vielzahl der Arbeiten über dieses
Thema. Bereits im Jahre 1888 existierten 120 Buchtitel6, die sich mit
der Person des Pontius Pilatus befassten, wobei die rein "erbaulicheî

Literatur nicht mitgezählt ist. Der Historiker und Exeget Gustav Adolf
Müller gab seiner Arbeit über Pilatus damals (1888) den Titel "Pontius
Pilatus, der fünfte Prokurator von Judäa und Richter Jesu von
Nazarethî. Müller vertrat die Meinung, "Pilatus habe Jesus wider
Willenî verurteilt.7
Knapp einhundert Jahre später lässt der kirgisische Schriftsteller
Tschingis Aitmatow in seinem Roman "Der Richtplatzî Jesus zu
seiner Mutter Maria sprechen:
"Ich höre Schritte, mein Henker wider Willen naht - Pontius Pilatus.î
Bei dem Werk von Aitmatow aus dem Jahre 1986 handelt es sich um
einen in der damaligen Sowjetunion - also noch vor der Gorbatschow-
Zeit - viel gelesenen und diskutierten Roman; Aitmatow soll am Ende
dieses Buches noch einmal zu Worte kommen.
Der jüdische Schriftsteller und Gelehrte Chalom Ben Chorin aus Je-
rusalem schrieb über den Prozess in seinem viel beachteten Buch
"Bruder Jesusî:8
"Mit Jesus wurde kurzer Prozess gemacht. Aber dieser kurze
Prozess erwies sich als der langwierigste der Weltgeschichte.
Der Prozess gegen Jesus ist sicher der größte und folgenreichste
Prozess, wenn es sich auch um ein überaus kurzes Verfahren
gehandelt hat.î
Auch der Professor für Judaistik Pincas Lapide schrieb in seinem
Buch "Wer war Schuld an Jesu Tod?î in dem Kapitel "Acht Antworten
auf die Schuldfrageî:9
"Trotz seiner Kürze von wenigen Stunden handelt es sich um
den längsten Prozess der Weltgeschichte.î
23
24
DAS UNTERDRÜCKTE ISRAEL
Ort des Prozesses - Jerusalem
Der Prozess wurde am 7. April des Jahres 30 n. Chr. in Jerusalem ge-
führt. Wer in Jerusalem war, weiß um welch` eine faszinierende Stadt
es sich handelt.
Marc Chagall, dessen Glasfenster in der Universitätsklinik der
Hadassah-Synagoge in Jerusalem zu bewundern sind, hat dort in ge-
nialer Weise die zwölf Stämme Israels versinnbildlicht. Er sagte ein-
mal über Jerusalem:10
"Nirgendwo sieht man soviel Verzweiflung und soviel Freude,
nirgendwo ist man so erschüttert und so glücklich zugleich
wie beim Anblick dieses tausendjährigen Haufens von Steinen
und Staub in Jerusalem.î
Laurentius Klein, ein Benediktiner-Abt auf dem Berge Sion, schrieb:
"Gläubige Menschen, Juden, Christen und Moslems fühlen
sich beim Besuch Jerusalems in tieferen Dimensionen ange-
sprochen als beim Besuch irgendeiner anderen Stadt. In
Jerusalem haben sich Ereignisse abgespielt wie in keiner an-
deren Stadt.î

Das auserwählte Volk
In welchem Land trug sich der Prozess gegen Jesus zu, wer waren
"die Judenî? Der von russischen Emigranten abstammende jüdische
Schriftsteller Herman Wouk11 hat 1959 ein Werk verfasst (1984 in
deutscher Sprache erschienen), in dem er das Schicksal des jüdischen
Volkes eindrucksvoll schildert. Der Titel lautet:î Das ist mein Gottî.
Wouk (1915 geboren) - lebt in Amerika, sein Name ist vor allem be-
kannt geworden als Verfasser des Romans "Die Caine war ihr
Schicksalî (verfilmt mit Humphrey Bogart). Wouk schreibt:
"Das jüdische Volk ist über dreitausend Jahre alt ... Die Bibel,
die geschichtliche Quelle unserer Vorfahren, sagt, dass die
Juden von einem mesopotamischen Nomaden namens Abra-
ham abstammen, der mit seinen Herden und seinen Zelten in
grauer Vorzeit nach Kanaan, das heutige Israel kam. Die Linie
führt weiter über seinen Sohn Isaak zu seinem Enkel Jakob,
der, um einer Hungersnot zu entgehen, mit seiner großen
Familie nach Ägypten weiterzog ...î
Wouk schildert, wie die Ägypter die Juden versklavten und wie ih-
nen in Moses ein Befreier entstand, der sie bis an die Schwelle des
"Gelobten Landesî führte.
26
"Des Mosesî - so fährt Wouk fort - "größte Tat aber war nicht die
Befreiung. Bei einem Berg in der Wüste - dem Horeb oder Sinai -
hatte er ein mystisches Erlebnis, das die gesamte Weltgeschichte ver-
änderte. Eine Sammlung von Vorschriften (wurde) bewirkt, die zum
Gesetz der zivilisierten Menschheit wurde...î
Wouk spricht dann von den Prophezeiungen über das Schicksal der
Juden, der glanzvollen Zeit der Monarchie im Heiligen Lande, dem
Abfall zum Götzendienst der semitischen Nachbarn, dem politischen
Zusammenbruch, von einem langen und qualvollen Exil in babylo-
nischer Gefangenschaft und schließlich von der Rückkehr nach Israel,
um dort nach dem Mosaischen Gesetz zu leben und zum Licht der
Völker zu werden. Wouk schließt mit dem Hinweis:
"Die meisten Akte dieses gewaltigen Dramas sind längst Ge-
schichte geworden. Einige Christenî - so sagt er - îsind sogar
der Ansicht, dass der Schlussvorhang des ganzen Stücks schon
vor zweitausend Jahren gefallen seiî. Und er schreibt weiter:
"Wir Juden glauben - und das ist ein Kernpunkt unserer
Religion - , dass die letzten Akte noch bevorstehen.î
Der jüdische Wissenschaftler Chalom Ben Chorin schloss einmal
(1988) einen Vortrag eindrucksvoll mit dem Satz:
"S i e warten auf die Wiederkunft des Herrn. Wi r warten auf
den Messias. Vielleicht warten wir beide auf denselbenî.

Der Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft gedenken die Juden am
Passah-Fest mit dem Seder-Mahl (Osterlamm). Dieses Fest wird zur
Zeit des Vollmonds des ersten Frühlingsmonats (Nisan) gefeiert. Es
beginnt am Abend des 14. Nisan mit dem Ostermahl und dauert bis
zum 21. Nisan. Unmittelbar vor diesem Fest des Jahres 30 n. Chr.,
am Donnerstag (jetzt Gründonnerstag) wurde Jesus festgenommen.
Das römische Sendungsbewusstsein
Was nun trieb die Römer in diesen Teil der Welt, in dem die Juden
lebten? Was trieb (um das Wort wiederum zu gebrauchen) sie an, ihr
Römisches Reich über die angestammten Lande hinaus auszudeh-
nen, die Welt zu erobern und zu beherrschen?
Philon von Alexandrien, auch Philo Judäus genannt, geboren um 13
v. Chr., ein jüdisch-hellenistischer Philosoph, gestorben zwischen 45
und 50 n. Chr., unternahm es, die griechische platonisch-stoische
Überlieferung mit der jüdischen Lehre zu vereinen. Er versucht ei-
ne Deutung zu geben, aus welchen Gründen Eroberer zu allen Zeiten
ihre Macht und Herrschsucht mit dem Mantel der Menschheits-
beglückung umgaben und auch wohl heute noch immer umgeben.
Überschwänglich schreibt er u.a.:13 "Die ganze Welt hätte sich in
Kriegen aller gegen alle aufgerieben, wenn nicht ein Mann und Führer
erschienen wäre, der Augustus, den man mit Recht den Schützer vor
Unheil nennt. Er ist der Kaiser, der die den Kriegen und den Barbaren
gemeinsamen Gebrechen heilte ... Er ist der Mann, der das Meer von
Piratenschiffen säuberte und mit Handelsschiffen bevölkerte, der al-
le Städte in die Freiheit entließ, der die Unordnung in die Ordnung
verwandelte ... Er ist der Friedensbewahrer, er ließ einem jeden das
seine zukommenî.
Das Sendungsbewusstsein und Selbstverständnis des Römischen
Reiches und Kaisertums, das Imperium Romanum, umfasste die
Kulturvölker des Erdkreises. Zur Zeit der Kaiser Augustus und
Tiberius waren es etwa 3,5 Millionen Quadratkilometer mit 80
Millionen Einwohnern. Die Idee des Römischen Reiches stand in
unvereinbarem Gegensatz zu dem Glauben und dem Sendungs-
bewusstsein der Juden.
Philon ist übrigens einer der beiden antiken Autoren, die über Pilatus
berichten, der zweite ist der später zu erwähnende Josephus Flavius.
Beide beurteilen Pilatus sehr negativ.
Dieser Kaiser Augustus durfte am Ende seines Lebens sagen (bei sei-
nem Tode 14 n. Chr. war Jesus etwa 21 Jahre alt), er habe Rom als
Stadt aus Backstein übernommen und als eine Stadt aus Marmor hin-
terlassen.


Während Augustus von seinem Volk und von den Historikern ein
beinahe einhelliges Lob erfährt, erscheint das Bild seines Nachfolgers
Tiberius (Claudius Nero 42 v. bis 37 n. Chr.), des Kaisers, unter dem
Pilatus sein Amt als Präfekt (heute würden wir "Generalgouverneurî
sagen) in Judäa ausübte, im Zwielicht.
Zwar heißt es "Sub Tiberio quiesî (= unter Tiberius herrscht Ruhe);
aber Tiberius war ein misstrauischer, oft unberechenbarer launischer
Herrscher. Manche Forscher sind der Ansicht, er habe unter dem
Cäsarenwahn gelitten.14, 15
29
Über seinen Tod (17. März 37 n. Chr.) heißt es bei Sueton:
"Sein16Tod versetzte das ganze Volk in solchen Freudentaumel,
dass auf die erste Nachricht hin, alles auf die Straße lief. Die
einen riefen "In den Tiber mit Tiberiusî; andere beteten zur
Mutter Erde und den Unterweltgöttern, sie möchten dem Toten
keine andere Stätte einräumen als nur unter den Verdammtenî.
Tacitus (55 bis um 120 n. Chr.) berichtet in seinen Annalen:17
"Eine Eigentümlichkeit des Tiberius ist es gewesen, die Ver-
waltungsstellen zu dauernden Ämtern zu machen und die
Führungskräfte bis zu ihrem Lebensende in ihren Positionen
zu belassenî.
Das unterdrückte Volk - Messiaserwartung
Pilatus kam in ein Land mit reicher Tradition und eigener Gesetz-
gebung. Die Bevölkerung war unterworfen, unterdrückt von frem-
den heidnischen Römern.18
Es gab große Spannungen. Die einheimische Führungsschicht
(Sadduzäer) versuchte, sich mit der römischen Macht zu arrangie-
ren. Die strenggläubigen Pharisäer waren darauf bedacht, jeden Kon-
takt mit den Römern zu meiden, um nicht unrein zu werden. Das
Volk hoffte auf den Messias, als den Befreier aus aller Not und al-
lem Elend.
Die Juden standen Pontius Pilatus im allgemeinen nicht als geschlos-
sener Block gegenüber, sondern in zerstrittenen Gruppierungen, die
sich aber sofort zusammenschlossen und gemeinsam auftraten, wo
immer sich eine Gelegenheit zur Konfrontation bot. Ihnen war es un-
erträglich, unterdrückt, besetzt und den fremden heidnischen Römern
unterworfen zu sein.
Für das ganze Land war das Synedrion (= der Hohe Rat) in religiö-
sen und in geringem Umfang auch politischen Fragen die oberste jü-
dische Instanz.


Das große Synedrion (siebzig Mitglieder und der vorsitzende Hohe
Priester) war in seinen Befugnissen durch die römische Besatzungs-
macht eingeschränkt; vor allem konnte das Synedrion Todesurteile
nicht vollstrecken lassen. Das so genannte Schwertrecht (jus gladii)
übte allein die Besatzungsmacht aus.19
Dies alles ist zu bedenken, wenn beurteilt werden soll, in welche
Verhältnisse Pontius Pilatus als Präfekt kam. Er war vom Kaiser
Tiberius, bzw. dessen Gardepräfekten Seianus20, in dieses Land ent-
sandt worden.
Palästina, das Land, in dem die Juden lebten und sich das Geschehen
zutrug, war zur Zeit Jesu in drei Regionen aufgeteilt:
1. Judäa (mit der Heiligen Stadt Jerusalem) und Idumäa - als
römische Provinz einem Prokurator unterstellt - .
2. Galiläa (unter dem Sohn Herodes des Großen, Herodes
Antipas) - mit dem See Genezaret. Galiläa war das Herkunfts-
land Jesu. Zu dem Herrschaftsgebiet des Herodes Antipas
gehörte auch - getrennt durch die Dekapolis und einen Teil
von Samarien - das Gebiet Peräa.
3. Ein Bruder des Herodes Antipas, Philippus, herrschte als
Tetrarch über die Provinzen Trachonitis, Batanäa, Auranitis
31
und Gaulanitis, sowie einen Teil von Ituräa. In dem Gebiet sei-
ner Tetrarchie liegen die Quellen des Jordan, der den See
Genesaret (auch Galiläisches Meer genannt) durchfließt und
im Toten Meer endet.
Die Gesamtfläche von Palästina maß etwa knapp 30.000 Quadrat-
kilometer; das Gebiet war so groß wie Belgien. Die Einwohnerzahl
betrug zur damaligen Zeit zwei bis drei Millionen Menschen.
Die erstgenannte Region mit der Stadt Jerusalem hatte zunächst bis
6 n. Chr. unter Archelaos, dem ältesten Sohn des Herodes gestanden.
Archelaos wurde wegen seiner Rücksichtslosigkeit und Gewalttätigkeit
in Rom verklagt und vom Kaiser in die Verbannung nach Vienna ge-
schickt.
Über Archelaos heißt es bei Matthäus 2,22: "Als Josef hörte, dass
Archelaos ... über Judäa herrschte, fürchtete er sich, dort hin zu ge-
hen und er zog nach Nazareth in Galiläaî, wo Jesus aufwuchs.
Das Gebiet des Archelaos wurde nach dessen Sturz der römischen
Hoheit direkt unterstellt und einem römischen Prokurator aus dem
Ritterstande zur Administration zugewiesen. Der erste (Präfektus
Judäa) hieß Coponius. Pontius Pilatus war der fünfte Statthalter von
Judäa (von 26 bis 36 n. Chr.). Die Provinz Judäa unterstand unmit-
telbar der römischen Herrschaft Der Prokurator übte für den Kaiser
die Regierungsgewalt aus. Ihm standen fünf Kohorten zu je sechs-
hundert Mann Auxiliartruppen (= Provinziale ohne römisches
Bürgerrecht) zur Verfügung. Eine Kohorte war ständig in der Burg
Antonia in Jerusalem stationiert. Vier Kohorten lagen in Cäsarea
Maritima, der Residenz des Prokurators (über einhundert Kilometer
von Jerusalem entfernt). An den großen Festen verlegte Pilatus seine
32
Kommandantur nach Jerusalem mit einer zusätzlichen Kohorte in den
alten Herodespalast (wo sich auch das Prätorium21, die Stätte, von der
aus Pilatus sein Urteil sprach, befand).
33
34
DIE UNTERDRÜCKER
Der"Generalgouverneurî Pontius Pilatus
Wen nun schickte der Kaiser Tiberius in das Land, von dem Josephus
Flavius schreibt (Josephus Flavius ist geboren 37 n. Chr., seine bei-
den bedeutendsten Werke sind "De bello judaicoî (= der Jüdische
Krieg; verfasst etwa zwischen 75 und 79 n. Chr.) und "Antiquitates
judaicaeî (= Jüdische Altertümer; verfasst etwa 15 Jahre später zwi-
schen 93 und 94 n. Chr.):22
"So war das Land nach dem Tode Herodes des Großen (4 v.
Chr. verstorben) eine wahre Räuberhöhle, und wo sich nur im-
mer eine Schar von Aufrührern zusammentat, wählten sie
gleich Könige. Während sie den Römern nur unbedeutenden
Schaden zufügten, wüteten sie gegen ihre eigenen Landsleute
weit und breit mit Mord und Totschlag.î
Pontius Pilatus stammte aus dem Geschlecht der Samnitischen Pontier.
Die Samniter waren alte mittelitalische Volksstämme, von denen die
Römer (etwa 300 v. Chr.) Taktik und Bewaffnung übernommen hat-
ten. Die Pontier hatten sich in den Kämpfen der Samniter gegen Rom
hervorgetan. Ein Mitglied dieser Familie, Lucius Pontius Aequilius,
war an der Ermordung Cäsars (44 v. Chr.) beteiligt. Andere Pontier
erlangten (unter Kaiser Tiberius) das Konsulat.

Pilatus war - davon ist auszugehen - Ritter von Geblüt. Falls ein
Mann, der nicht von Geblüt Ritter war, zum Ritterstande aufsteigen
wollte, musste er ein Vermögen von hunderttausend Dinaren (das
sind heute etwa dreihunderttausend Euro) nachweisen.
Zum Werdegang gehen Sachkenner von drei "Befehlsstufenî
(Karrierestufen) des Pilatus aus:23, 24
Zunächst befehligte er im Range eines Jungoffiziers eine
Auxilliarkohorte, danach war er Offizier einer Legion und
schließlich wurde er Kommandeur in einem Hilfsregiment.
Nach Abschluss der Militärkarriere war er - wie auch schon
zeitweilig während des Dienstes als Soldat - in der Verwaltung
tätig und wurde mit der Leitung der Provinz Judäa betraut.
Er war mithin kein unerfahrener Mann mehr, als er zum fünften
Prokurator in Judäa ernannt wurde; er behielt diesen Posten zehn Jahre
lang, kann also nicht ganz erfolglos gewesen sein, sonst wäre er (wohl
auch von dem zögerlichen Tiberius) früher abberufen worden.
Zu der Person des Pilatus ist zu fragen:
War er ein Hochtalent, ein Genie, ein krankhafter Neurotiker, ein
Psychopath, ein Psychot? War er überhaupt ein Talent, war er nur
durch die geschichtliche Konstellation und nur weil er als ein begabter
oder als fähig aufgefallener Verwaltungsbeamter und Soldat zur
Verfügung stand, zum Richter Jesu geworden? War er Mittelmaß oder
war er schlicht - um ganz platt zu fragen - ein "ausgedienter
Komisskoppî, der zu versorgen war. Welcher Protektion erfreute er
sich? Hatte er gar den brennenden Wunsch, gerecht zu sein? War er
gebildet, kannte er die Schriften des feinfühligen Freundes des Kaisers
Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.), der in einer Ode feierlich von
der Bestimmung Roms und über die Richter geschrieben hatte:
"Dem Manne des Rechts, der fest am Entschlusse hält, macht
nicht die Volkswut, die ihn zum Schlechten drängt, nicht ei-
nes Zwingherrn Antlitz, wankend den stetigen Mutî.
Kannte er diesen Vers des Quintus Horatius Flaccus (65 bis 8 v. Chr.)
der unter dem Namen Horaz25in die Weltliteratur eingegangen ist?
Spannungen


Einen unmittelbaren anschaulichen Einblick in diese Verhältnisse
vermittelt uns der jüdische, später in römischen Diensten stehende,
bereits erwähnte Schriftsteller Flavius Josephus. In seinem Werk "Der
Jüdische Kriegî heißt es:26
"Nachdem Pilatus von Tiberius als "Epitroposî nach Judäa ge-
sandt worden war, ließ er die Kaiserbilder, die sich an den
Feldzeichen befanden, verhüllt des Nachts nach Jerusalem
schaffen. Tags darauf führte dies bei den Juden zu lärmenden
Tumulten; wer nämlich an den Feldzeichen vorüberkam, wur-
de durch diesen Anblick zutiefst verletzt. Die Juden waren
überzeugt, ihr Gesetz werde auf diese Weise verhöhnt; denn
es verbietet ausdrücklich, Bildnisse in der Stadt aufzustellen.
Die Stadtbewohner empörten sich. Ihnen schloss sich mas-
senhaft auch die Landbevölkerung an. Die aufgebrachte Menge
zog nach Cäsarea zu Pilatus und bat ihn inständig, die
Feldzeichen mit den Bildern doch aus Jerusalem wegzubrin-
37
gen und so die alten Gesetze unangetastet zu lassen. Pilatus
lehnte das Begehren ab. Daraufhin warfen sich die
Demonstranten im Umfeld des Palastes mit zur Erde gekehr-
tem Gesicht auf den Boden. Sie verharrten so fünf Tage und
fünf Nächte.
Am folgenden Tage begab sich Pilatus in die große Rennbahn,
er setzte sich dort auf das Bema und befahl, die Demonstranten
sollten vor ihn treten. Das erweckte den Eindruck, als wolle
er mit ihnen diskutieren. Pilatus ließ jedoch die Menge von ei-
ner dreifachen Soldatenkette umzingeln. Die Juden waren starr
vor Entsetzen. Pilatus befahl ihnen nun, sie sollten die
Feldzeichen mit den Kaiserbildern in Jerusalem dulden, sonst
werde er sie alle niedermachen lassen. Durch ein Handzeichen
gab er den Soldaten den Befehl, die Schwerter blankzuziehen.
Die Juden aber warfen sich wie verabredet zu Boden und bo-
ten ihren Nacken dar. Sie riefen laut, sie wollten lieber ster-
ben, als gegen das Gesetz der Väter verstoßen. Pilatus war von
diesem ungewöhnlich mutigen Verhalten und der aus ihm spre-
chenden Gottesfurcht überrascht und beeindruckt. Er befahl,
die Feldzeichen sofort aus Jerusalem wegzubringen.î
In diesem Falle hat Pilatus nachgegeben. Josephus berichtet ferner
über ein anderes Ereignis.
In den ersten Jahren seiner Amtszeit unternahm Pilatus den Bau oder
die Erweiterung einer Wasserleitung nach Jerusalem. Er verwende-
te für das kostspielige Vorhaben (auch) Gelder aus dem Korban, al-
so Tempel-Opfergelder. Das empörte die Bevölkerung. Die Frage,
ob Tempelgelder nicht doch für gemeinnützige Zwecke nach jüdi-
38
schen Vorschriften verwendet werden durften, ist ungeklärt. Pilatus
war über eine deswegen organisierte Protestdemonstration informiert.
Er beorderte als Zivilisten getarnte Soldaten, die mit Knütteln be-
waffnet waren, unter die aufgebrachte Volksmasse. Wie zu erwarten,
befolgten die Demonstranten den Befehl zur Auflösung der
Protestversammlung nicht. Flavius Josephus führt weiter aus:
"Als aber die Juden mit Schmähungen antworteten, gab er
(Pilatus) den Soldaten das verabredete Zeichen und diese fie-
len mit größerem Ungestüm, als es in der Absicht des Pilatus
gelegen hatte, über friedliche Bürger, wie über die
Aufständischen her. Gleichwohl ließen die Juden von ihrer
Hartnäckigkeit nicht ab; und da sie den Bewaffneten wehrlos
gegenüberstanden, kamen viele von ihnen um, während an-
dere verwundet weggetragen werden mussten. So wurde die-
ser Aufruhr unterdrückt.î
Mehr beiläufig berichtet der Evangelist Lukas27 über eine spätere
Bluttat des Pilatus, die am Tage vor dem Passah-Fest des Jahres 29
n. Chr. im Vorhof des Tempels an Pilgern aus Galiläa verübt wurde,
während diese ihre Opfertiere schlachteten. Der Anlass für diese
Morde und die Zahl der Getöteten sind nicht überliefert.28
Bei Lukas (13, 1-5) heißt es:
"Zur selben Zeit kamen einige und berichteten ihm (Jesus) von
den Galiläern, deren Blut Pilatus mit dem ihrer Opfer ver-
mischt hatte. Da nahm er das Wort und sprach zu ihnen: "Meint
ihr, diese Galiläer seien mehr als alle Galiläer Sünder gewe-
sen, weil sie solches erlitten haben? Nein, sage ich euch, doch
39
wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle auf gleiche Weise um-
kommen. Oder - jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz
des Turms30von Schiloach erschlagen wurden - meint ihr, dass
nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner
von Jerusalem aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet
genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.î
Zu dieser Schriftstelle ist zu bemerken: Allgemein herrschte im
Judentum - vor allem bei den Sadduzäern, die nicht an ein Weiterleben
nach dem Tode glaubten - der îVergeltungsglaubeî. Er blieb weit-
gehend auch unter Christen bestehen.
Selbst Goethe lässt in îWilhelm Meisters Lehrjahrenî mit dem
Gedicht über die Himmlischen Mächte diesen Vergeltungsglauben
anklingen:
"Ihr führt ins Leben uns hinein
Ihr lasst den Armen schuldig werden
Dann überlasst Ihr ihn der Pein;
Denn alle Schuld rächt sich auf Erdenî.31
Dieser Vergeltungsglaube wird durch Jesus in das Erfordernis der
Umkehr zurechtgerückt.
40
Weiheschilde und Massaker
Noch über andere Gewaltmassnahmen des Pilatus berichten Philon
und Josephus Flavius.
In einem der letzten Jahre seiner Amtszeit in Cäsarea, jedenfalls aber
nach dem Tode Jesu, ließ Pilatus vergoldete Ehrenschilde (eine Art
Devotionalien) in Jerusalem anbringen. Im Gegensatz zu den
Medaillen befanden sich auf den Ehrenschilden keine bildlichen
Darstellungen. Auf ihnen standen nur der Name des Weihenden und
der Name dessen, dem sie geweiht waren. Sogar gegen diese
Maßnahme erhob sich allgemeiner Protest. Hochgestellte Persön-
lichkeiten des Synedrions und vier Söhne Herodes des Grossen (un-
ter ihnen auch Antipas) wurden bei Pilatus vorstellig, um ihn zu ver-
anlassen, die Schilde zu entfernen. Pilatus reagierte darauf nicht. Die
Juden wandten sich an den Kaiser. Tiberius entsprach ihrem Begehren.
Er wies Pilatus an, die Schilde aus Jerusalem nach Cäsarea zu schaf-
fen und dort im Augustustempel aufzustellen. Tiberius tadelte, so en-
det der Bericht des Philon, "Pilatus aufs schärfste wegen seiner
Unüberlegtheitî.32
Ein hartes blutiges Eingreifen gegen die Samaritaner33kostete Pilatus
schließlich seinen Posten. Die Samaritaner standen den Römern
grundsätzlich nicht feindselig gegenüber. Josephus Flavius berichtet:
"Ein alter samaritanischer Glaube besagte, auf dem Berge
Garizim seien Kultgeräte des Moses vergraben. Ein Pseudo-
41
prophet versprach den Volksmassen, er werde ihnen diese
Geräte zeigen, falls sie mit ihm auf den Berg zögen. Zahlreiche
Männer waren dazu bereit. Sie versammelten sich - wie üb-
lich bewaffnet - am Fuße des Berges. Pilatus, dem das
Vorhaben hinterbracht worden war, kam den Samaritern zu-
vor. Er besetzte den Weg, den sie zurücklegen mussten, mit
Reiterei und Fußvolk. Diese Streitmacht griff die Aufrührer
an, hieb eine Anzahl von Ihnen nieder, schlug den Rest in die
Flucht und nahm noch viele gefangen, von welch` letzteren
Pilatus die Vornehmsten und Einflussreichsten hinrichten ließî.
Flavius Josephus berichtet weiter:
"Abgesandte der Samariter beschwerten sich bei Vitellius, dem
Statthalter von Syrien und brachten vor, sie hätten keinen
Aufstand gegen die Römer vorgehabt, sondern sich nur des-
halb versammelt, um sich vor des Pilatus Ungerechtigkeiten
zu schützenî.34
Der Statthalter von Syrien Vitellius enthob Pilatus seines Postens und
befahl ihm, sich nach Rom zu begeben, um sich vor dem Cäsar zu
verantworten. Pilatus folgte dieser Weisung. Er traf in Rom erst nach
dem Tode des Tiberius (16. März 37 n. Chr.) ein. Vor dem 10. März
37 kann Pilatus wegen des "mare clausumî (11. November 36 bis
10. März 37) nicht in See gestochen sein.
42
Ende einerLaufbahn und Legenden
Das Lebensende des Pilatus, um das sich - ebenso wie um seine
Herkunft - phantastische Legenden gerankt haben, îverliert sich im
Dunkelî.35Über sein weiteres Schicksal liegen keine historisch ge-
sicherten Erkenntnisse vor. Manche Schriftsteller vertreten die
Ansicht, Pilatus habe seinem Leben durch Selbstmord ein Ende ge-
setzt. Einige meinen, der Nachfolger des Tiberius, der Kaiser Gaius
Caligula habe ihn hinrichten lassen; nach einer anderen Version soll
Pilatus in der Verbannung gestorben sein.
Die Funktion des Pilatus in Judäa ist sicher bestätigt. Ein archäolo-
gischer Fund aus dem Jahre 1961 dient dafür als Beweis:
Die oben erwähnte Beschwerde hochgestellter Juden beim Kaiser
wegen der Aufstellung der Weiheschilde (es handelte sich um Gedenk-
plaketten in der Form von Schilden, die militärischen Einheiten ver-
liehen worden waren) hat Pilatus gekränkt und verärgert. (An der
Beschwerde war mit Sicherheit auch Herodes Antipas36 beteiligt.
Daher rührte wohl auch die Feindschaft zwischen Pilatus und Antipas;
falls sie nicht schon vorher bestand, wurde sie durch die Beteiligung
des Antipas an der Beschwerde noch erheblich verstärkt.)
43
Pilatus war bestrebt, diese Scharte - Tadel des Kaisers und
Rückführung der Weiheschilde aus Jerusalem - auszuwetzen und sich
das Wohlwollen des Kaisers zu sichern. Durch eine besondere
Baumaßnahme hat er eindrucksvoll seine Verehrung für den Kaiser
kundgetan. Er ließ ein Heiligtum zur Ehre des Tiberius errichten. Ein
Stein dieses Heiligtums blieb erhalten. Er ist - neben den literari-
schen Zeugnissen - das erste und bisher einzige epigraphische
Dokument für die Statthalterschaft des Pilatus in Palästina. Der Stein37
wurde unter den Trümmern des römischen Theaters in Cäsarea im
Jahre 1961 entdeckt, ein 80 cm hoher und 60 cm breiter Steinblock
mit einer lateinischen Inschrift, die Gelehrte entziffert haben:
(CAESARIEN) S (IBOS) TIBERIAEUM
(PON) TIUS PILATUS
(PRAE) FECTUS JUDA(EA) E
(D) E (DIT)
Sie lautet übersetzt: Pontius Pilatus, Präfekt von Judäa, hat den
Einwohnern von Cäsarea dieses Tiberieum (= Heiligtum zur Ehre
des Kaisers Tiberius) geschenkt.
Der Originalstein befindet sich im Staatsmuseum in Jerusalem. In
Cäsarea ist eine getreue Kopie aufgestellt.
Wann der Stein beim späteren Bau einer großen Treppe seinerzeit
wieder "verbautî wurde, ist nicht sicher. Die Archäologen nehmen
als unterste Grenze das 4. Jahrhundert an.
44
An der Person des Pilatus ranken sich ó wie ausgeführt - farbige
Legenden38 empor. Stoff zu phantastischen Ausschmückungen bot
auch die Frau des Pilatus (Claudia Prokula), die ihren Mann nach
Palästina begleitet hatte. Claudia Prokula ist in der Koptischen Kirche
unter die Heiligen eingereiht, und manche Denominationen (zu-
sammengeschlossene Glaubensminderheiten) gingen soweit, sogar
Pilatus als Heiligen zu verehren, wohl aus der spekulativen Überle-
gung, weil ohne ihn und sein grauenhaftes Todesurteil, Jesus sein
Heilswerk nicht hätte vollbringen können.
Von den zahlreichen Legenden sei die vielverbreitete Tradition er-
wähnt, nach der Pilatus in Forchheim (Frankenland) geboren sein
soll. Darüber lautet ein alter leoninischer Vers:
"Forchemii natus est Pontius ille Pilatus
Teutonicae gentis crucifixor omnipotentisî.
In Forchheim sollen in früheren Zeiten auch die îroten Hosenî des
Pilatus gezeigt worden sein. Im benachbarten Orte Hausen knüpften
sich mehrere im einzelnen nicht übermittelte Traditionen an Pilatus.
Manche Orte werden genannt, an denen Pilatus umgekommen sein
soll. Der Schriftsteller Peter Bamm39 bezeichnete Saarbrücken als
Sterbeort. Ein anderer Hinweis besagt, Pilatus sei im Jahre 39 in
Vienne (Isere - Frankreich) gestorben, wo er in der Verbannung ge-
lebt habe. Weit verbreitet ist die Sage, sein Leichnam sei in den
Schweizer Alpen in dem nach ihm benannten Berg "Pilatusî (in der
Nähe von Luzern) versenkt worden.
45
46
KURZER PROZESS GEGEN DEN KÖNIG DER JUDEN
Informationsquellen
Als Informationsquellen für das zu beurteilende Verhalten des Pilatus
bei der Verurteilung Jesu stehen uns - neben spärlichen nichtchrist-
lichen Zeugnissen40- die Evangelien zur Verfügung. Der neu-testa-
mentliche Wissenschaftlicher Josef Blank fasst die heute allgemein
unter christlichen Gelehrten geltende Wertung der Aussagen der
Evangelien wie folgt zusammen:41
"Die Evangelien sind weder eine Biographie Jesu noch ein histori-
scher Bericht. Sie verfolgen stets und vor allem eine kerygmatische
Absicht: Das heißt eine Verkündigungsabsicht. Sie sind dramatische
Erzählung mit theologischem, soteriologischem (also heilsge-
schichtlichem) und christologischem Interesse. Soweit für die Heils-
lehre und das Heilsgeschehen erforderlich, sind die Evangelientexte
eine sichere Grundlage. Das Historische ist das Substrat, in dem sich
das Heilsgeschehen ereignet, ist aber nicht die Hauptsache. Aber auch
nicht entbehrlich.î
Als Informationsquelle für das Todesurteil gegen Jesus kann auch
die Inschrift einer Holztafel gelten:
47
In der Kirche "Santa Croce in Gerusalemmeî in Rom wird eine Tafel
mit der Aufschrift I.N.R.I. als Reliquie verehrt. Die in lateinischer,
griechischer und hebräischer Sprache verfasste Aufschrift bedeutet:
îJesus von Nazareth, König der Judenî. Der Paderborner Papyrologe
Carsten Peter Thiede hat die Tafel untersucht. Er kommt zu dem
Ergebnis, sie sei mit hoher Wahrscheinlichkeit echt; es handele sich
um die nach der Bibel am Kreuze Christi als "titulusî angebrachte
Mitteilung des Urteils. Mit Sicherheit liege eine (mittelalterliche)
Fälschung nicht vor (Evangelische Nachrichtenagentur IDEA
Deutschland vom 11. April 2001).42
Die Evangelientexte über den Prozess gegen Jesus Christus von
Nazareth sind heutzutage nicht jedermann geläufig. Für die
Darstellung des Geschehens zitiere ich deshalb das Ergebnis der
Forschungsarbeit des Theologen und Exegeten Professor Rudolf
Pesch. Er hat es unternommen, den ältesten Evangelientext, den des
Markus, auf die so bezeichnete îvormarkinische Fassungî43zurück-
zuführen. Nach seinem Forschungsergebnis ist dieser komprimier-
te, eindrucksvolle Text in der Jerusalemer Urgemeinde bereits in den
ersten sechs bis sieben Jahren nach dem Tode Jesu "ausformuliertî
worden. Er lautet:
Und gleich in der Frühe, nachdem die Hohenpriester mit den
Ältesten und Schriftgelehrten und das ganze Synedrion einen
Beschluss ausgefertigt hatten, fesselten sie Jesus, führten ihn
ab und lieferten ihn an Pilatus aus.
Und Pilatus fragte ihn: "Du bist der König der Juden?î
Er aber antwortete ihm: "Du sagst es.î
Und die Hohenpriester verklagten ihn heftig.
48
Pilatus aber fragte ihn wiederum: "Antwortest du nichts? Sieh,
wessen alles sie dich verklagen!î
Jesus aber antwortete nichts mehr, so dass Pilatus staunte.
Zum Fest aber ließ er ihnen (gewöhnlich) einen Häftling frei,
den sie sich ausbaten.
Es war aber der Kandidat: Barabbas, mit den Aufständischen
in Haft, die bei dem Aufstand einen Mord begangen hatten.
Und die Volksschar zog hinauf und fing an zu verlangen, wie
sie gewohnt waren.
Pilatus aber antwortete ihnen: "Wollt ihr, werde ich euch den
König der Juden freilassen!î
Er hatte nämlich gemerkt, dass ihn die Hohenpriester aus Neid
ausgeliefert hatten. Die Hohenpriester aber wiegelten die
Volksschar auf, dass er ihnen lieber den Barabbas freilassen
solle.
Pilatus aber nahm wiederum das Wort (und) sagte ihnen: "Was
soll ich dann mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt?î
Sie aber wiederum schrieen: "Kreuzige ihn!î
Pilatus aber sagte ihnen: "Was hat er denn Böses getan?î
Sie aber schrieen heftig: "Kreuzige ihn!î
Pilatus aber wollte der Volksschar Genüge tun, ließ ihnen den
Barabbas frei und lieferte Jesus, nachdem er ihn hatte geißeln
lassen, zur Kreuzigung aus.
49
Erinnerungsversuche des Pilatus
Im Folgenden gebe ich mögliche Überlegungen wieder, die Pilatus
zum Urteilsspruch führten. Er bereitet sich auf der Schiffsüberfahrt
auf die Audienz beim Kaiser vor und versucht, sich den fünf Jahre
zurückliegenden Prozess, seit dem sich vieles ereignet hatte, ins
Gedächtnis zu rufen.
Er erinnert sich:
Das Vorbringen der Ankläger verwunderte mich. In meiner gesam-
ten Amtszeit war mir eine solche Beschuldigung gegen einen
Angeklagten noch nicht vorgetragen worden. Die Ankläger brach-
ten vor: "Er will der König Israels sein.î Dabei gingen sie offenbar
von der - zutreffenden - Überlegung aus: îDas muss doch wohl genü-
gen. Pilatus hat für Ruhe und Ordnung zu sorgen und wenn sich ei-
ner als König ausgibt, dann muss er rücksichtslos einschreiten. Die
Bezeichnung "Königî war doch wohl gravierend genug.î
So dachten sie mit Recht, denn die Beschuldigung bedeutete den
Vorwurf der "perduellioî (das ist die aus feindlicher Gesinnung ge-
gen den Staat oder den Kaiser begangene aufsässige Handlung - heu-
te würden wir diesen Tatbestand mit der Vokabel "hochverräterisches
Unternehmenî bezeichnen).
Ich überlegte weiter:
Falls an diesem Vorwurf "etwas dran warî, musste ich tatsächlich
50
handeln. Aber ich war gegenüber diesen Anklägern und den sie laut
unterstützenden Schaulustigen, die sich bei Gerichtsverhandlungen
stets einfinden, misstrauisch geworden.
Zum Verständnis muss ich hier bemerken, die Juden, die einer höhe-
ren Schicht angehören, aber auch die einfachen Juden, beschäftigen
sich ohne Unterlass mit der Pflege ihres vermeintlichen Unglücks,
unter römischer Herrschaft leben zu müssen. Dieses Schicksal dis-
kutieren sie und bejammern es bei jeder Gelegenheit. Dabei lamen-
tieren sie zu ihrem Gott Jahwe, veranstalten Demonstrationen und
träumen von ihrem großen Reich. Sie behaupten sogar, sie seien das
vor allen anderen "auserwählteî Volk. Bei dieser Einstellung neigen
sie natürlich zu überheblicher Aufsässigkeit und latentem Widerstand.
Nicht selten kommt es zu gewalttätigem blutigem Aufruhr, wie ich
ihn selbst oft genug erlebt habe. und gegen den ich stets erfolgreich
eingeschritten bin. Alles was von der römischen Macht kommt ist
ihnen ein Gräuel. Dem widersetzen sie sich, sofern es nicht von den
jüdischen Autoritäten gebilligt ist.
Eine Gefahr des Aufruhrs bestand - wie ich wusste - vor allem an
den drei Wallfahrtsfesten44, wenn die Juden mit ihren ganzen Sippen
zum Heiligtum nach Jerusalem pilgerten. So war die Situation auch
jetzt zum Osterfest des Jahres 30. Vorsorglich hatte ich deshalb, um
sofort an Ort und Stelle sein zu können, meine angenehme Residenz
Cäsarea (Maritima) verlassen und mein Quartier in Jerusalem im al-
ten Herodes-Palast45bezogen. Mir war es zwar lästig, meine Residenz
am Meer, etwa hundert Kilometer von Jerusalem entfernt, zu ver-
lassen, aber ich musste auf der Hut sein. Die Stimmung war aufge-
heizt. Sie forderten von mir ó was ganz ungewöhnlich war - ein Todes-
urteil gegen einen eigenen Landsmann. Soweit ich mich erinnerte,
51
hatte es auch das bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gegeben: Sie führ-
ten einen eigenen Landsmann vor mit dem Begehren, ich solle ihn
kreuzigen lassen. Dahinter steckte noch irgendetwas anderes, über
das ich mir nicht im Klaren war.
Der Gefangene selbst war mir gleichgültig. Mir war es aber einfach
lästig, Scherereien zu haben. Ich wollte die Sache möglichst ohne
Aufsehen, jetzt vor dem Pascha-Fest erledigen, um Ruhe und Frieden
in der Stadt zu haben und kurzen Prozess machen.
Ich hatte damals drei Gefangene im Kerker, von denen zwei (Gesmas
und Dismas)46 zum Tode verurteilt waren, sie sollten ohnehin noch
vor Beginn des Festes hingerichtet werden. Auch das Verfahren ge-
gen den dritten Angeklagten mit Namen Barabbas, den Rädelsführer
aufständischer Gewalttäter, schien keine Schwierigkeiten zu berei-
ten. Auch er sollte noch vor dem Fest hingerichtet werden.
Bisher war es mir gelungen, entgegen der Handhabung meiner
Vorgänger ohne häufige Anwendung der Kreuzesstrafe auszukom-
men.47 Diesmal musste aber diese auch in meinen Augen äußerst
grausame Strafe zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung und
zur Abschreckung eingesetzt werden. Trotz allen Zeitdrucks wollte
ich aber die Angelegenheit mit dem mir heute vorgeführten Be-
schuldigten selber prüfen. Sie sollten mich nicht vor ihren Karren
spannen und mich in ihren ständigen religiösen Streitereien nicht
auch noch zum Schiedsrichter machen. Soweit wäre es noch ge-
kommen!
Deshalb sah ich mir den Mann erst einmal an. Ich ließ ihn vorführen
und begann die Vernehmung mit der Frage "Bist du der König der
Juden?î Falls er mit "Jaî geantwortet hätte, dann brauchten wir nicht
weiter zu verhandeln, dann lag ein Geständnis vor.
52
Der Mann antwortete aber ausweichend mit dem nichts sagenden Satz:
"Du sagst esî. Ich war etwas verblüfft und verärgert über diese un-
klare Antwort. Ich befragte die anwesenden Ankläger nun nochmals.
Bei ihnen handelte es sich nach meiner Erinnerung um drei namhafte
Synhedristen. Sie wiederholten ihre bisherigen Beschuldigungen. Ich
forderte den Angeklagten erneut auf, dazu Stellung zu nehmen. Da er-
folgte etwas, was ich als Richter ebenfalls überhaupt noch nicht erlebt
hatte. Der Beschuldigte äußerte sich nicht mehr. Er schwieg. Und das
in einem Land, in dem die Leute, insbesondere auch Beschuldigte,
stets weitschweifig von ihrem Verteidigungsrecht Gebrauch machen
und ununterbrochen reden, falls sie nicht gezügelt werden.
Der Beschuldigte äußerte sich nicht mehr. Nun hätte ich vielleicht die-
ses Verhalten als îcontumaciaî48(gleich: Trotz, Eigensinn oder edler
Stolz) auslegen, und ihn deswegen verurteilen können. Das hätte aber
meinem Rechtsverständnis nicht entsprochen. Ich war jedenfalls nach
dem Anklagevortrag und dem Verhalten des Angeklagten und meinem
Eindruck, den ich von ihm gewonnen hatte, von seiner Schuld nicht
überzeugt. Was sollte ich tun?
Ich fragte ihn nochmals: "Du bist also doch ein König?î
Der Angeklagte antwortete, obwohl er übel zugerichtet war, in einer
Weise, die mich nicht unberührt ließ: "Du sagst es - ja, ich bin ein
König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass
ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist,
hört meine Stimme.î49
Diese Antwort konnte ich allenfalls als schwärmerisches Gerede ei-
nes überspannten Fanatikers, der seiner Sinne nicht mehr völlig mäch-
tig war, werten. Das war aber nicht ein Geständnis, dass er einen Um-
sturz plane und König der Juden werden wollte. Ich kam zu dem
53
Ergebnis: Dieser Mann ist kein politischer Verbrecher, jedenfalls ist
er kein für Rom gefährlicher Feind, gegen den ich mit meinen Macht-
mitteln vorgehen müsste. Ich erwiderte ihm lasch:
"Was ist schon Wahrheit!î und bemerkte zu den Anklägern: "Ich für
meine Person finde keine Schuld an ihm.î
Neue Beweise oder eine neue Bewertungsgrundlage waren nicht er-
sichtlich und auch durch weitere Vernehmungen nicht zu erwarten.
Die Ankläger waren betroffen und enttäuscht. Ich überlegte, die Ver-
handlung an dieser Stelle abzubrechen, den Gefangenen freizuspre-
chen und freizulassen.
Warum tat ich es nicht? Weshalb sprach ich den Nichtschuldigen nicht
einfach frei? Das wäre mir, dem allein Entscheidungsbefugten, ohne
weiteres möglich gewesen. Falls ich von seiner Schuld nicht überzeugt
war, dann hatte ich den Angeklagten freizusprechen und laufen zu las-
sen. Weshalb tat ich es nicht?
So ganz kann ich meine damalige Handlungsweise nicht mehr nach-
vollziehen. Ich hielt mich länger mit einer Entscheidung zurück, als
ich es sonst gewohnt war.
Ich ging nochmals in das Prätorium hinein, und zögerte dadurch die
Sache hinaus. Mit meinen Apparetores, die mir zur Verfügung stan-
den und mit den mir zur Fortbildung zugewiesenen Assessores50 konn-
te ich über den Fall noch einmal reden. Ich fand es damals oft recht
amüsant, mich mit juristisch gebildeten Leuten locker zu unterhalten.
Weil sie keine Entscheidungsbefugnis und keine Verantwortung hat-
ten, konnten sie unbeschwert ihre Meinung äußern. Die Unterhaltung
mit diesen Jungjuristen, die mir stets gefällig waren, weil sie nach
Abschluss ihrer Abkommandierung von mir ein gutes Zeugnis er-
hofften, war allemal kurzweiliger als das ewige Geschwätz meiner
54
Offiziere über ihre Heldentaten. Auch die jungen Leute brachten zu
dem Fall nichts Neues vor. Sie teilten aber meine Verwunderung über
das ungewöhnliche Verhalten des Angeklagten, insbesondere sein
Schweigen. Im Verlauf der Unterhaltung kam mir ein genialer Gedanke.
Der Zufall hatte mir zwei "Politischeî gleichzeitig in die Hand gege-
ben. Ich konnte den einen, den Ungefährlichen, aufgrund eines mög-
lichen Amnestieverfahrens51, 53freilassen und den anderen, den wirk-
lich Gefährlichen, hinrichten.
Die Ankläger waren fanatisiert und aufgebracht. Vielleicht konnte ich
sie zufrieden stellen. Möglicherweise waren sie sogar in ihren inner-
sten Gefühlen durch das Verhalten des Angeklagten verletzt und von
seinem Versagen als angeblicher Messias enttäuscht. Das war mir zwar
äußerst gleichgültig, ich musste aber über den Einzelfall und die au-
genblickliche Situation hinaus denken. Durch eine schroffe Ablehnung
des Begehrens der Ankläger und eine einfache Freilassung des
Angeklagten, würden sie vor den Kopf gestoßen sein. Ich musste dar-
auf bedacht sein, Ruhe und Ordnung zu erhalten.
Immerhin befanden sich zu diesem Zeitpunkt44 in dem etwa 30.000
Einwohner zählenden Jerusalem ungefähr 150000 sogenannte Fest-
pilger. Wenn die alle fanatisiert wurden und einen Aufstand unter-
nahmen, dann war die Situation gefährlich. Mit meinen wenigen - recht
zwielichtigen53 - Auxiliartruppen hätte ich einer zahlenmäßig über-
legenen Meute gegenüber gestanden. Ich konnte zwar einen Aufstand
niederschlagen; aber das Ganze hätte in einem Blutbad geendet. Das
wäre dem Kaiser berichtet worden und da für ihn der oberste Grundsatz
lautete: "Sub Tiberio quiesî, hätte ich erhebliche Schwierigkeiten be-
kommen. Zumindest hätte der Kaiser einen mir lästigen Bericht an-
gefordert.
55
Bei dieser Sachlage erschien mir die Idee, den Angeklagten - sein
Name war übrigens Jesus - für eine Amnestierung anzubieten, be-
sonders verlockend und erfolgversprechend. Diese Verfahrensweise
bot mir, dem Befehlshaber des ganzen Landes, einen gewichtigen
Vorteil:
Ich konnte vermeiden, einen Aufständischen freilassen zu müssen.
Der aufständische Barabbas sollte für seine Taten am Kreuze büßen.
Er war ja auch bereits verurteilt. Ich verfolgte diesen Gedanken wei-
ter. Die Juden werden wie jedes Jahr einen Gefangenen freihaben
wollen. Auf gar keinen Fall will ich ihnen den Barabbas freigeben.
Der hat bei einem Aufruhr mitgemacht, bei dem es Tote - auch rö-
mische Soldaten - gegeben hatte. Barabbas war eine gefährliche
Führernatur. Mit ihm gäbe es auch künftig noch erhebliche Schere-
reien, wenn er freikäme. Also: Barabbas ans Kreuz und den harm-
losen Galiläer amnestieren!
Das ergab eine glatte Lösung. Dieser Galiläer - das kam noch hinzu
als Nebenerfolg - war in den Augen der Juden ja kein "kleiner
Kriminellerî. Ich konnte mit ihm jemanden "anbietenî, der dem Volke
"etwas wert warî. Und schon allein die in der Verhandlung gefalle-
nen Worte vom "König der Judenî, bedeuteten etwas! Das konnte
den Vorschlag bei den antirömischen Massen nur günstig beeinflus-
sen, selbst wenn der Angeklagte nicht zu diesem Titel stand und in
den Augen seiner Landsleute versagt hatte.
Vielleicht tat ich doch, so dachte ich weiter, einem Teil der Bevöl-
kerung, denen, die jenem Jesus nachgelaufen waren, einen Gefallen
und konnte mich damit bei ihnen ein wenig beliebt machen.54
Etwas musste ich allerdings sofort für die Ankläger und die aufge-
brachte Masse, - die ihn, aus welchen Gründen auch immer, nicht
56
mehr mochten - tun, um sie nicht ganz leer ausgehen zu lassen. Das
konnte ich auch vertreten und wenn ich länger darüber nachdachte,
schien es mir sogar erforderlich: Der Mann sollte durch eine Amnes-
tierung nicht so ohne weiteres unbehelligt davon kommen. Schließlich
hatte er Unruhe gestiftet und Anlass zu einer Verhandlung vor dem
Synhedrion und sogar vor mir gegeben. Ich ordnete im Rahmen mei-
ner unbegrenzten Coercitio55, meiner Verwaltungszwangsbefugnis,
die Geißelung des Galiläers an. Die Coercitio gab mir dazu freie
Hand, schon um Ruhe und Ordnung im Lande aufrecht zu erhalten.
Das würde den Klägern wohl reichen und ich verlor nicht das Gesicht.
Nachdem der Galiläer Jesus diese Marter erduldet hatte, wollte ich
ihn freilassen. Meine Überlegungen gingen jedoch nicht auf. Die
Anführer hatten die aufgeheizte kritiklose Menschenmasse fest im
Griff. Meinen Vorschlag, den Galiläer zu amnestieren und freizu-
lassen, beantworteten sie mit der Drohung:
"Wenn du diesen freigibst, bist du kein Freund des Kaisers.
Jeder, der sich selbst zum König macht, wie dieser Jesus, ist
des Kaisers Widersacher.î
Hinter diesen Worten verbarg sich eine bis zum äußersten gehende
Entschlossenheit. Die Anführer gingen von der Überlegung aus: "Du
hast den Galiläer für die Amnestie angeboten, ihn also selber für ver-
urteilungswürdig erachtet und ihn sogar geißeln lassen und jetzt
kommst du und willst diesen, von dir selbst als todeswürdig ange-
sehenen Verbrecher freilassen. Du nimmst es nicht ernst, wenn wir,
die Unterworfenen, mit dir kooperieren wollen. Du lässt einen
"Basileusî frei.î
57
Immer wieder fiel das Wort von dem Imperator Tiberius. Das hieß
für mich, sie werden in einer Petition dem Kaiser melden, Pilatus
lässt einen, der sich zum König aufwirft, frei, ja einen, den wir selbst
- wegen unserer guten Zusammenarbeit mit der römischen Macht -
ausgeliefert hatten.
Hier wurde die Sache sehr ärgerlich. Ich wollte sie vom Tisch haben.
Ich gab auf, ließ den Barabbas frei und verurteilte den Galiläer zum
Tode am Kreuze.
Soweit meine Überlegungen. Ich dachte noch vorausschauend und
mich ein wenig beruhigend: Irgendwann würden wir des Barabbas
schon wieder habhaft werden.
Durch eine symbolische Handlung wollte ich noch spottend unter-
streichen, dass ich hier dem Willen des Pöbels gefolgt war. Ich über-
nahm einen jüdischen Brauch und ließ mir, um den Anklägern zu zei-
gen, dass ich nicht die Verantwortung für die Kreuzigung dieses
Mannes offen tragen wollte, Wasser aus einer Kanne über meine
Hände in eine Schüssel gießen.
Außerdem ordnete ich an - auch um durch den Wortlaut des Textes
die Juden zu ärgern - als Titulus auf die Tafel, die über dem
Gekreuzigten zu befestigen war, zu schreiben: "König der Judenî.
Ich breche hier die Schilderung der Überlegungen des Pilatus ab.
Die Frage bleibt offen, ob Pilatus seine Erinnerungen über den Weg
zum Urteil zutreffend wiedergegeben hat und - vor allem - ob er da-
bei ehrlich mit sich selber war.
58
Suche nach Beweggründen
Durch die Wiedergabe der Gedanken, die sich Pilatus machte, als er
auf der Überfahrt nach Rom, bzw. nach Putuoli den Bericht für den
Kaiser vorbereitete, habe ich versucht, die Gründe darzulegen, die
Pilatus nach meiner Meinung zu dem Urteilsspruch veranlasst haben
können. Überwiegend war es wohl die Angst, vor dem Imperator
nicht bestehen zu können. Andere Beweggründe mögen noch hin-
zugekommen sein. Alle nur denkbaren bösen Einflüsse können den
Römer bewogen haben. Vielleicht war er nur träge, oder er befand
sich in einer situationsbedingt schlechten Verfassung. Vielleicht war
er augenblicklich verärgert, oder aus unerfindlichem Grunde von ei-
ner üblen Laune beherrscht. Möglicherweise war es von allem et-
was. Trägheit, Ungeduld, Eitelkeit und feige Angst können ihn ge-
trieben haben. Wenig wahrscheinlich ist ein "Umfallenî aus
Pflichtgefühl, weil er sich eingeredet haben könnte, das Wohl des
Imperium Romanum erfordere auf Grund des Ergebnisses der
Verhandlung nunmehr eine andere Einschätzung des Sachverhalts
und gebiete die Verurteilung des Galiläers.
Zahlreiche Schriftsteller56 haben versucht, das Geheimnis um das
Urteil des Pilatus zu enträtseln und die Motive für seine Handlungs-
weise zu ergründen. Ich nenne nur Max Frisch in seiner "Chinesischen
Mauerî, Friedrich Dürrenmatt, Gertrud von le Fort, Michael Bulga-
kov, die Rockoper "Jesus Christus Superstarî.
59
Im letzten werden die Beweggründe des Pontius Pilatus nicht frei-
zulegen sein.
Nach der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 ist wieder-
holt versucht worden, den Prozess Jesu - vor einem israelischen
Gericht - neu aufzurollen.57
Im Frühjahr 1949 hat ein holländischer Jurist unter dem Pseudonym
H187 einen formellen Revisionsantrag beim israelischen Justiz-
ministerium gestellt und 1972 haben christliche Theologen beim
Obersten Gerichtshof Israels einen erneuten Antrag auf Annullierung
des Urteils gegen Jesus gestellt. Israels Justiz erklärte sich für nicht
zuständig und verwies die Antragsteller an ein italienisches Gericht,
weil aus jüdischer Sicht die Römer Jesus verurteilt und hingerichtet
hatten. Auch der frühere Richter am Obersten Israelischen Gericht
Chaim Cohn ist mit dieser Frage befasst worden.
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wurde von den israelischen
Justizbehörden - aus vernünftigen Gründen - abgelehnt. Selbst eine
nachträgliche Verhandlung hätte nicht zu einer Klärung beigetragen.
Auch spätere Versuche, unterstellt, sie seien ernsthaft gewesen und
nicht nur des Aufsehens wegen unternommen worden, waren eben-
falls ohne Erfolgsaussicht geblieben.
60
Schuldzuweisung - Blutspruch
Immer wieder ist aber die Frage, wer war Schuld am Tode Jesu, mit
unterschiedlichen Akzenten erörtert worden. Um die Osterzeit wird
alljährlich das Thema breit in den Medien behandelt. Meist geschieht
dies, wenn nicht nur der Sensation wegen, in apologetischer Absicht.
Die Autoren schreiben der einen oder anderen Gruppe der Beteiligten,
den Juden, den Römern, dem Pilatus, die Schuld, Alleinschuld oder
doch überwiegende Schuld zu. Die heute unter Christen allgemein
bestehende Erkenntnis gibt der Schriftsteller Kurt Speidel58wieder:
"Eines ist sicher: Die Richter Jesu waren nicht die Juden, sei-
ne Peiniger nicht die Römer: Sondern es waren bestimmte
Männer und Gruppen, die damals lebtenî.
Nicht wegzudenken ist: Die im Laufe der Geschichte lange
Zeit hindurch anzutreffende Zuweisung der Schuld an die Juden
hat zu schlimmstem Antisemitismus und grausamen
Verfolgungen beigetragen - zuletzt zum Holocaust.
Für diese Schuldzuweisung an die Juden wurde stets der so genann-
te Blutsspruch (Matthäus 27; 25) herangezogen: "Sein Blut komme
über uns und unsere Kinderî. Der Umgang mit dieser Schriftstelle
des Neuen Testaments entsprach mit Sicherheit nicht der Lehre
Christi.
61
Ganz unverständlich klingen heute die nachfolgend wiedergegebe-
nen Auslassungen berühmter Männer der Kirche aus vergangener
Zeit. Wie müssen sie auf einfältige Hörer gewirkt haben!59
Ambrosius (333-397) folgerte aus dem Blutspruch, die Juden seien
"Satanssöhneî. Hieronymus (345-420) fordert mit Nachdruck die
Bestrafung der Juden; sie hätten wegen ihrer Blutschuld keinen Anteil
am Worte Gottes; der Fluch bleibe ewig auf den Juden. Der von vie-
len Menschen seiner Zeit als Prophet verehrte Bischof Meliton von
Sardeis (verstorben 190) bezeichnete die Blut trinkenden Juden als
Gottesmörder. Leo der Grosse (440-461) nannte die Juden wegen
des Blutspruchs Objekte des Hasses der Menschen; sie seien Helfer
des Teufels und Mörder.
Gottlob ist endlich der notwendige Wandel eingetreten. Kardinal
König (Wien) schrieb:
îDie Auslegung und Kommentierung des Neuen Testaments, wie sie
durch die christlichen Jahrhunderte erfolgte, hat nicht unwesentlich
dazu beigetragen, antijudaistisch-heidnische Vorurteile zu verschär-
fen. Von der frühen Mittelalterzeit an bis in die Neuzeit hat diese
Auslegung zu Unterdrückung und Tötung von Juden, zur Vertreibung
jüdischer Gemeinden geführt. Aus dieser Sicht ergeben sich
Mitursachen für die Möglichkeiten von Auschwitzî.
Der heilsame Wandel in der Haltung der christlichen Kirchen zu den
Juden wurde, neben eindringlichen Verlautbarungen zahlreicher an-
gesehener Sprecher der christlichen Kirchen, 1980 deutlich durch
ein Treffen in Mainz zwischen dem Papst und den Vertretern der jü-
dischen Gemeinde, ferner ganz signifikant durch den Besuch des
62
Papstes (1986) in der Synagoge in Rom, wobei Johannes Paul II sich
herzlich öffnete mit den Worten:
îIch bin Euer Bruderî.
In einem Gebet kurz vor seinem Tode sprach Papst Johannes XXIII:
"Wir erkennen nun, dass viele Jahrhunderte der Blindheit unsere
Augen bedeckt haben, sodass wir die Schönheit Deines Auserwählten
Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge
unseres erstgeborenen Bruders wieder erkennen. Wir erkennen, dass
das Kainszeichen auf unserer Stirn steht. Jahrhundertelang hat Abel
daniedergelegen in Blut und Tränen, weil wir Deine Liebe vergaßen.
Vergib uns den Fluch, den wir zu Unrecht aussprachen über den
Namen der Juden. Vergib, dass wir Dich in ihrem Fleisch zum zwei-
ten Mal kreuzigten.î
63
Zweierlei Sicht
Zwei bedeutende Schriftsteller zeigen das Spannungsverhältnis zwi-
schen dem erhabenen und würdigen Jesus Christus und dem Gewalt-
inhaber Pontius Pilatus und machen deutlich, welche Welten beide
trennen.
Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnet französische Schriftsteller
Anatol France60, dessen Werke auf den Index gesetzt wurden, gibt in
seiner Erzählung "Der Statthalter von Judäaî ein Gespräch wieder,
das der alternde Pilatus nach Jahren mit seinem früheren Freund
Lamia führte, den er zufällig getroffen hatte:
"Erlaube, dass ich dir sage, du hast der Straßenvenus allzu viel
geopfert; vor allem aber tadle ich dich, Lamia, dass du dich
nicht nach dem Gesetz verheiratet und dem Staat Kinder ge-
schenkt hast, wie es Pflicht jeden guten Bürgers ist.î
Doch der einst von Tiberius Verbannte (Lamia) hörte dem al-
ten Statthalter gar nicht mehr zu. Er hatte seinen Becher
Falerner geleert und lächelte einem unsichtbaren Bilde zu.
Nach kurzem Schweigen sagte er mit gedämpfter, doch all-
mählich sich hebender Stimme: "Sie tanzen mit so schmach-
tendem Ausdruck, die syrischen Frauen! Ich habe in Jerusalem
eine Jüdin gekannt, die in einer Spelunke beim Schein eines
qualmenden Lämpchens auf einem armseligen Teppich tanz-
te und dabei mit erhobenen Armen die Zimbeln schlug. Mit
64
ihrer schlanken Gestalt, dem zurückgeworfenen Kopf, der
gleichsam von der Last des üppigen roten Haares niederge-
zogen wurde, den glühenden, schmachtenden, von Wollust
verschleierten Augen, den geschmeidigen Gliedern hätte sie
selbst Kleopatra vor Neid erblassen lassen. Ich liebte ihre
wilden Tänze, ihren etwas rauhen und dennoch so einschmei-
chelnden Gesang, ihren Weihrauchduft, den Halbschlummer,
in dem sie zu leben schien. Ich folgte ihr überallhin. Ich misch-
te mich unter die schlechte Gesellschaft von Soldaten, Gauklern
und Zöllnern, von der sie umgeben war. Eines Tages ver-
schwand sie, und ich sah sie nicht wieder. Lange suchte ich
sie in den berüchtigten Gassen und Schenken. Es war schwe-
rer, sich ihrer zu entwöhnen als des griechischen Weins. Nach
einigen Monaten hörte ich zufällig, sie habe sich einer klei-
nen Schar von Männern und Frauen angeschlossen, die einem
jungen Wundertäter aus Galiläa folgten. Er hieß Jesus der Naza-
rener und wurde wegen irgendeines Verbrechens ans Kreuz
geschlagen. Erinnerst du dich an diesen Mann, Pontius?î
Pontius Pilatus runzelte die Brauen und führte die Hand zur
Stirn wie jemand, der in seinem Gedächtnis etwas sucht.
"Jesus?î murmelte er nach kurzem Schweigen. "Jesus der
Nazarener?
Ich erinnere mich nicht.î
65
Hat France erfasst, welchen Eindruck das Verhalten und die Persön-
lichkeit des Galiläers, des geduldig leidenden auf den Richter aus-
geübt haben mag? Jesus war - auch der geschundene und gequälte -
ein Mensch, der aus der Erinnerung nicht auszulöschen war.
Selbst an der Kreuzigung beteiligt gewesene Henker haben dem
Gekreuzigten - soweit es diesen hartgesottenen Legionärs-Soldaten
überhaupt möglich war - in ihrer primitiven Art die Anerkennung
nicht versagt. Treffend beschreibt dies Ernest Hemingway61 in der
Story îHeute ist Freitagî. Er lässt drei angetrunkene Soldaten am
Abend der Kreuzigung in einer jerusalemer Weinkneipe in ihrem
platten Soldatenjargon sich bewundernd erinnern: "Der hat sich heu-
te da recht ordentlich benommen.î
Der eingangs erwähnte kirgisische Schriftsteller Tschingis Aitma-
tow62greift in seinem Werk "Der Richtplatzî die Motive und Ränke
des Pilatus auf und zwar zu der Frage: Worin unterscheiden sich der
mächtige Richter und der Zimmermannssohn aus Nazareth?
Aitmatow, (ein mit dem Leninpreis dekorierter Schriftsteller) hat mit
diesem vielbeachteten Roman noch vor der Gorbachow-Zeit in der
damaligen Sowjetunion unpopuläre Themen einem breiten Publikum
zugänglich gemacht. Er schreibt:
"Und nach alldem möchtest duî, fuhr Pontius Pilatus unver-
sehens heiser fort, "dass ich, Roms Prokurator, dir die Freiheit
schenke?î
"Ja, gütiger Regent, lass mich frei.î
66
"Und was wirst du tun?î
"Mit dem Wort Gottes durch die Lande ziehen.î
"Halt mich nicht für dumm!î schrie der Prokurator und sprang,
außer sich vor Zorn, auf. "Nun habe ich mich endgültig davon
überzeugt, dein Platz ist am Kreuz, nur der Tod kann dich bän-
digen!î
"Du irrst, hoher Regent, der Tod ist machtlos vor dem Geistî,
sprach Jesus fest und vernehmlich...
"Ich denke darüber nach, Statthalter Roms, dass wir beide so
verschieden sind und einander kaum jemals verstehen werden.
Warum soll ich meiner Seele Gewalt antun und mich von der
Lehre des Herrn lossagen, nur weil es dir und dem Kaiser nützt,
die Wahrheit aber darunter leidet?î
"Wirf keinen Schatten auf die Interessen Roms. Was Rom nützt,
steht über allem.î
"Über allem steht die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Zweierlei Wahrheiten gibt es nicht.î
"Erneut verstellst du dich, Landstreicher!...
Und du, Jesus von Nazareth, du willst also der Geschichte des
Bösen Einhalt gebieten.î
"Niemand gebietet der Geschichte Einhalt, ich möchte das
Böse in den Taten und dem Trachten der Menschen ausmer-
zen - das ist es, was meinen Kummer ausmacht.î
"Ich übe unter der Obhut des Tiberius die Macht über Judäa
aus, und darin sehe ich den Sinn meines Lebens, und ich ha-
be ein ruhiges Gewissen. Es gibt keine höhere Ehre, als dem
unbesiegbaren Rom zu dienen!î
67
"Du bist keine Ausnahme, Statthalter Roms, fast ein jeder ver-
langt leidenschaftlich danach, über wenigstens einen einzigen
seiner Brüder zu herrschen. Darin liegt das Unheil.î
Pilatus bemerkt: "Den Menschen ist nichts beizubringen, we-
der mit Predigten in Tempeln noch mit Stimmen vom Himmel!
Sie werden immer den Kaisern folgen, wie die Herde dem
Hirten, und sie werden vor der Stärke und dem Wohlstand in
die Knie gehen und den verehren, der sich als der schonungs-
loseste und mächtigste von allen erweist... Möge der eigene
Zar hochleben, der andere aber zerschmettert und auf die Knie
gezwungen werden.î
Pilatus zu Jesus: "Mir ist nicht klar, ob du spielst oder tatsäch-
lich frei von Angst bist und die qualvollste Hinrichtung nicht
fürchtest. Was macht es denn aus, wenn du nicht mehr sein
wirst, ob du noch etwas aussprechen konntest oder nicht, wer
dich anhörte und wer nicht? Wem soll es noch nützen? Ist das
nicht alles nichtig und ein reiner Jahrmarkt der Eitelkeiten?î
"Sag das nicht, Herrscher, dies ist kein eitler Tand! Die Ge-
danken vor dem Tod steigen unmittelbar zu Gott empor, für
Gott ist wichtig, was der Mensch vor dem Tod denkt, und da-
nach beurteilt Gott die Menschen, die er einst als Krone der
Schöpfung unter allem Lebenden erschaffen hat, denn die letz-
ten der allerletzten Gedanken sind immer rein und aufrichtig,
in ihnen lebt nur die Wahrheit und keine Hinterlist.î
So weit Aitmatow.
Hat er mit seiner letzten Aussage recht, in der er Jesus über die letz-
ten Gedanken sprechen lässt? Wie ist es mit den Menschen, die un-
68
erwartet vom Tode ereilt werden? Dieses Thema lässt Aitmatow aus.
Er spricht aber die Grundfrage nach der Angst an. Die Tiefen-
psychologie versucht, menschliches Verhalten und Fehlverhalten mit
der Angst zu ergründen. Diese Theorien - die Angst als Ursünde; die-
se Urangst (Ursünde = Erbsünde) ist der endlichen Freiheit imma-
nent (innewohnend) - sind nicht unumstritten.63, 64
Machterhalt, Gerechtigkeit und Liebe
Eugen Drewermann65hebt eindringlichst ins Bewusstsein:
"In den Augen Jesuî zähle nur, "der es nicht nötig hat, ande-
re Menschen seinem Diktat zu unterwerfen und über sie zu
herrschen; wirklich "königlichî ist für ihn einzig und allein
ein Mensch, der sich vor der Not des anderen beugt und ihm
auf jede erdenkliche Weise hilfreich zu sein versucht. Stärker
als alle Weisungen und Befehle ist in seinen Augen die Macht
der Liebe. Sie ist das einzige "Königtumî, das sich mit der
Freiheit und der Würde eines Menschen vereinbaren lässt. Nur
in der Liebe ist die Unterwerfung unter fremden Willen nicht
erniedrigendî.
"Ein solches Reich der Liebe wollte Jesus heraufführen; ...in
diesem Königreich des Himmels würde ein jeder sich wieder
seiner königlichen Abkunft, seines göttlichen Ursprungs, er-
innern können. Um diese alles verändernde Entdeckung ging
es Jesus! Es ist für einen jeden Menschen möglich, noch heu-
te zu spüren, dass er Gott in seinem Herzen trägt; es ist mög-
69
lich, sich selbst in seinem eigenen Leben ganz und gar zu be-
jahen, schon weil Gott will, dass es uns gibt; und es ist mög-
lich zu glauben, dass alles, was war, die gesamte Vergangenheit,
zu einem Weg wird, der zu Gott hinführt...î
"Pontius Pilatus steht da als lebendes Porträt menschlicher
Macht... Er macht weiter in den Dunstkreisen der Macht. Der
Gott, an den er glaubt, ist der Kaiser... Pilatus, dieser Mann
der Macht, dieser Repräsentant der Weltmacht Roms, dieser
Amtsträger des Kaisers, des lebenden Gottes auf Erden ist in
Wahrheit bis zur Groteske abhängig, unfrei und ohnmächtig.
Fragen der Religion versteht er nicht... Dass ihm in Jesus ein
Mensch begegnet, für den das Verhältnis zu Gott die Quelle
aller Unabhängigkeit und Freiheit ist, vermag er nicht zu se-
hen, und so gehorcht er der unerbittlichen Logik des
Machterhalts.î
Die Frage, ob dieser Pontius Pilatus - übrigens der einzige Mensch,
der neben der Mutter Jesu im christlichen Glaubensbekenntnis na-
mentlich genannt ist - ein Henker wider Willen war, das mag jeder
versuchen zu beantworten.
Die Schuld des Pontius Pilatus auszuloten und zu wägen - wer könn-
te hier gerechten Gerichts urteilen?
70
Mit den Fragen, die sich bei der Beurteilung von Pilatus stellen, sind
auch die unausweichlichen Probleme der Theodizee (Rechtfertigung
Gottes hinsichtlich des von ihm zugelassenen Übels und Bösen) und
der Prädestination (göttliche Vorherbestimmung zur Seligkeit oder
Verdammnis) sowie die Frage der Willensfreiheit mit zu bedenken.
Sie stellen sich immer wieder beklemmend, wenn in der Heiligen
Messe der Leidensübernahme Jesu Christi "Denn am Abend, an dem
er (Christus) ausgeliefert wurde und sich aus freiem Willen dem
Leiden unterwarfî gedacht wird.
Ist es dem Menschen überhaupt möglich, diese Fragen mit seinem
Verstand erfolgreich zu entschlüsseln?
Der Theologe Klaus Berger66formuliert die Frage, die sich für jeden
Menschen stellt: "Wie kann Gott Leid und Katastrophen zulassen?î
Karl Rahner67hat 1990 in seiner zupackenden Art die Fragen aufge-
worfen: "Ist der Mensch nur eine Laune Gottes? Ein Spiel?î
Rahner ruft herzerschütterndes Elend in unser Bewusstsein:
Verhungerte Säuglinge, den Jammer geschändeter Mädchen, zu Tode
geprügelte Kinder, Sklaven der Arbeit, Liquidierte, Krüppel, und die
um ihre Ehre Gebrachten - seit Adam. Er fragt, "warum gedeiht
Unrecht Gut? Weshalb haben Lügen so lange Beine?" Er überdenkt
die Weltgeschichte und kommt zu dem Ergebnis: Sie ist ein Strom
von Dummheit, Gemeinheit und Brutalität. Weshalb lässt Gott das
Böse zu oder warum lässt er den Bösen existieren und agieren? Wo
sind da die Spuren von Gottes Gerechtigkeit und seiner Güte?
Wie sollen wir das Bibelwort erfassen, "...Jahrtausende haben nicht
gesehen, was ihr sehtî. Sehen wir wirklich das Heil? Hat Jesus die
heile Welt - erkennbar - herbeigeführt, lag es in seinem Plan, sie über-
haupt herbeizuführen?
71
Wiegen erlebte und bis zur Neige ausgekostete Stunden der Glück-
seligkeit Grauen und Leid auf? Manchmal vermag das Hochgefühl
der Freude über unverdient zuteil gewordene, unerwartete ehrliche
Zuwendung zu versöhnen. Der Liebe eines Mitmenschen oder gar
eines Fremden mag es mitunter gelingen, dem Unheil zu widerstreiten.
Werden damit Unrecht und Bosheit, Unheil und Übel, aufgehoben?
Romano Guardini68fragt: îWelche menschliche Haltung ist gegenü-
ber der nicht zu ergründenden Dunkelheit angezeigt? Er bietet - sel-
ber hilflos - das Wort vom Vertrauen an. "Das Vertrauen auf die Macht,
die im Letzten den Sieg SEINER Gesinnung über den Zustand des
Daseins bewirken wird. Vertrauen ist der einzige Schlüssel, um be-
stehen zu können. Wahrscheinlich ist der Weg zum Vertrauen für je-
den Menschen ein anderer, und es kommt darauf an, den eigenen zu
finden.î69
72
ANMERKUNGEN
Literatur, Schriften und Hinweise
1.) Jahntz/Kähne: Der Volksgerichtshof - Berlin 1982 (2. Auflage),
Hrsg.: Der Senator für Justiz und Bundesangelegenheiten, Berlin.
2.) Diels Rudolf: Lucifer ante Portas... Es spricht der erste Chef
der Gestapo..., Interverlag Zürich 1950; 1.-20. Tausend Deutsche
Verlags-Anstalt Stuttgart, (S.294)
Diels war der îSchöpferî der Gestapo (Geheime Staatspolizei),
der er bis Oktober 1933 vorstand. Er gibt ein ausführliches Bild
von Freisler. (S.295): îF. bekannte sich dazu, seine Laufbahn als
ein überzeugter Kommunist begonnen zu haben. In russischer
Kriegsgefangenschaft hatte er es bis zum bolschewistischen
Kommissar gebracht, nachdem er die völlige Beherrschung der
russ. Sprache erlangt hatte. Aber schon 1924 machte er sich als
Verteidiger von Nationalsozialisten ... einen Namen... Er wurde
als einer der ersten Abgeordneten der Partei (N.S.D.A.P.) in den
Preußischen Landtag gewählt. Sein messerscharfer juristischer
Verstand glänzte mit theatralischer Beredsamkeit. Die Farben
seines Temperaments spielten zwischen äußerster Geisteskälte,
philosophischem Enthusiasmus und Kaschemmenton... Dieser
machtgierige Intellektuelle brachte seine Hilfe für die SAin ei-
ne brillante juristische Form.î
73
3.) Walter:Der Nationalsozialismus, Dokumente 1933-1945, Fischer
Taschenbuch Verlag Frankfurt, Sept. 1976.
4.) In den Waldheim-Verfahren haben 51 Richter, eine Richterin
und Staatsanwälte der DDR mitgewirkt. Gegen einzelne von ih-
nen sind zwischen 1992 und 1997 nach dem Vollzug der deut-
schen Einheit Ermittlungs- und Strafverfahren wegen des
Vorwurfs des Mordes, des Totschlags, der Freiheitsberaubung
geführt worden.
4a.) Zu Sokrates und Galilei siehe ausführlich Fischer-Fabian S.:
Die Macht des Gewissens von Sokrates bis Sophie Scholl,
Broemer Knaur München 1987, (S.113-199), sowie zu Galilei
auch Lütz (unten Ziffer 64, S.112-115).
Die neueren Arbeiten von Fischer-Fabian und Lütz sind benannt
und herangezogen, weil sie differenziertere Einschätzungen er-
möglichen, die von gängigen Klischees abweichen.
5.) Über das historische Geschehen bestehen eine Reihe unter-
schiedlicher Erkenntnisse und Auslegungshypothesen. Dies gilt
auch für das Datum des Prozesses Jesu. Das Thema dieses
Buches gebietet nicht, auf wissenschaftliche oder sonstige
Streitfragen in extenso einzugehen.
Vielmehr wird jeweils der nach dem Stand der Wissenschaft -
wenn schon nicht erwiesene - so doch - der wahrscheinlichste
oder der am meisten einleuchtende Sachverhalt zu Grunde ge-
legt; von ihm wird ausgegangen. Bei dem seit fast 2000 Jahren
erörterten emotionsbeladenen Geschehen wird, soweit dies über-
haupt menschenmöglich erscheint, eine zielgerichtete apologe-
tische (wie beispielsweise bei der "Schuldzuweisungî) Sichtweise
tunlichst vermieden.
74
6.) Müller Gustav-Adolf: Pontius Pilatus, der fünfte Prokurator von
Judäa und Richter Jesu von Nazareth, Stuttgart Verlag der J.B.
Metzlerschen Buchhandlung 1888, (S.5 ff., S.42).
7.) Aitmatow Tchingis: Der Richtplatz, Moskau 1986, (S.219 f.),
hier benutzt: Unionsverlag Zürich 1987.
8.) Ben-Chorin Schalom:Bruder Jesus, der Nazarener in jüdischer
Sicht, zuerst 1967 - hier benutzt. Deutscher Taschenbuch Verlag
München 1987, (S.156).
9.) Lapide Pinchas: Wer war Schuld an Jesu Tod?, Gütersloher
Taschenbücherei Siebenstern 1419; Gütersloh 1987, (S.94).
10.)Klein Laurentius: Geleitwort zu Laubscher Friedrich: Jerusalem
- Widerspruch und Verheißung, Geschichte einer Stadt, Friedrich
Bahn Verlag Konstanz, 2. Aufl. 1981, (S.7). Laubscher zitiert
Marc Chagall, (S.171).
Laurentius Klein, dem zwei Universitäten den theologischen
Ehrendoktortitel verliehen haben, wird als christlicher Brücken-
bauer zum Judentum gelobt. Er ist mit der Buber-Rosenzweig-
Medaille ausgezeichnet worden. Klein hat das theologische
Studienjahr in Jerusalem gegründet, an dem bisher mehr als 700
deutschsprachige Studenten unterschiedlicher Konfession teil-
genommen haben.
11.)Wouk Hermann:Das ist mein Gott; Glaube und Leben der Juden,
1959 - hier benutzte Deutsche Ausgabe, Albrecht Knaus Verlag
Hamburg 1984, Goldmann Verlag,
ISBN 3-442-08526-8, (S.23 ff.).
12.)Für die Ausführungen über die Römerherrschaft sind im We-
sentlichen herangezogen:
Mommsen Theodor: Römische GeschichteBd.7, DTVBiblio-
75
thek, 3. Auflg. 1984 München, ISBN 3-423-06059-X, (S.149
ff.) zu Syrien, (S.188 f.) zu Judäa und die Juden.
Müller Karlheinz: Möglichkeit und Vollzug jüdischer Kapital-
gerichtsbarkeit im Prozess gegen Jesus von Nazaret, im Kertelge
Karl, Hrsg.: Der Prozess gegen Jesus, Herder Freiburg-Basel-
Wien 1988, ISBN 3-451-02112-9, ( S.44 ff.).
13.)Philo von Alexandria, die Werke in deutscher Übersetzung; Hrsg.
Leopold Cohn, Isaak Heinemann, Maximilian Adler und Willy
Theiler Bd.7; Walter de Gruyter & Co Berlin 1964: Die
Gesandschaft an Caligula, (S.21 f.) übersetzter Text von Buch-
wald - hier wiedergegeben nach Grant Michael:Roms Cäsaren
(übersetzt aus dem Englischen), Gondrom Verlag Bindlach 1985,
(S.86).
14.)Kurth Wolfram / Lange-Eichbaum Wilhelm:Genie Irrsinn und
Ruhm, 6.Aufl., Ernst Reinhardt Verlag München/Basel 1967,
(S.284).
15.)v. Hentig Hans: Über den Cäsarenwahn, Die Krankheit des
Kaisers Tiberius, Verlag von Bergmann München 1924, (S.25).
16.)Sueton Cäsarenleben, erläutert von Max Heinemann 7. Auflage,
bearbeitet von Reinhard Häussler, (S.224).
17.)Tacitus: Annalen, ed. Carl Hoffmann, Emil Vollmer Verlag
Wiesbaden Lizenzausgabe des Heimeran Verlages 1980, (S.58).
18.)Dommershausen Werner: Die Umwelt Jesu, Herder Freiburg -
Basel - Wien, 4. Auflage als Sonderausgabe Freiburg 1977/87,
ISBN 3-451-200886-5, (S.54 ff.), mit ausführlichem Litera-
turverzeichnis.
76
19.)Gnilka Joachim: Der Prozess Jesu nach den Berichten des
Markus und Matthäusin: Kertelge (siehe Ziff.17b) zu "iusî bzw.
"potestas gladiiî (S.28 ff.) mit Literaturhinweisen.
20.)Zum Verhältnis Tiberius - Seian:
Friedental Martin: Seian, eine Studie zur Regierung des Tiberius,
(Doktorarbeit; grundlegend) Universität Heidelberg 1957 (nur
in Maschinenschrift).
Kroll Gerhard: Auf den Spuren Jesu, Verlag Kath. Bibelwerk
Stuttgart, Lizenzausgabe des Benno-Verlages Leipzig GmbH
1979, (S.440 ff.), in dem mit Akribie verfassten und mit einge-
henden Quellen- und Literaturhinweisen ausgestatteten Werk
wird Seianus, der Chef der kaiserlichen Garde, als berüchtigter
Antisemit gekennzeichnet, (S.199). Seine Ernennung habe Pilatus
seinem Gönner Seianus zu verdanken gehabt. Kroll führt (ohne
dafür eine Quelle zu benennen) weiter aus, (S.44): îAus
Dankbarkeit gab Pilatus seinem Erstgeborenen den Namen sei-
nes Gönners: Aelius (Seianus).î Hinweise auf Kinder des Pilatus
wurden in der vorliegenden Literatur allerdings nicht gefunden.
21.)Pixner Bargil (Vergil): Noch einmal das Prätorium in:Zeitschrift
des Deutschen Palästinavereins95, (1979), Köln, (S.56-86).
Pater Bargil Pixner, OSB aus Südtirol, verstorben im März 2002,
gehörte seit über 20 Jahren der Benediktinerabtei in Jerusalem
(Dormitio) an. Er gilt für fast alle Religionsgemeinschaften in
Jerusalem in archäologischen Fragen als "Instanzî. Er kommt
zu dem Ergebnis, das Prätorium des Pilatus (der tatsächliche Ort
der Verurteilung Jesu, dessen Lage Jahrzehnte lang umstritten
war), befand sich im "alten herodianischen Palastî (und nicht in
der heutigen Zitadelle).
77
22.)Flavius Josephus, übersetzt von Clementz - hier verwendet 4.
Auflage 1985, Josef Melzer Verlag Darmstadt: Antquitates - jü-
dische Altertümer VII, (S.489).
23.)Cohn Chaim: Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht -
hier benutzt - erste (deutsche) Auflage, 1997, Jüdischer Verlag
im Suhrkamp Verlag Frankfurt a. Main.
24.)Lapide, (siehe Ziff 9), (S.68).
25.)Durant Will: Der Aufstieg Roms und das Imperium in der Kultur-
geschichte der Menschheit, (übersetzt ins Deutsche v. Schneider
Ernst; Redaktion Dollinger Hans) Sonderausgabe der Naumann
& Göbel Verlags-Ges. Köln, 1985, (S.271 ff., S.779).
26.)Flavius Josephus: De Bello Judaico - Der jüdische Krieg, von
Michel Otto und Bauernfeind Otto, Griechisch und Deutsch,
Kösel Verlag München 1969 Bd.II, (S.215 f., S.117 ff.).
27.)Luk. 13,1-5.
28.)Blinzler Josef: Die Niedermetzelung von Galiläern durch Pilatus,
in: Novum Testamentum; An International Quarterly for New
Testament and Related Studies, Leiden 1957, (S.24-49).
Der Dichter Clemens Bretano (1778-1842) erwähnte vor mehr
als einhundert Jahren in seinen Aufzeichnungen über die Visionen
der Katharina Emmerick (verst. 1824) aus Dülmen den Bau und
Einsturz eines Turmes der Wasserleitung; Brentano Clemens:
Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi, Nationale Verlags-
anstalt Regensburg 1895 (Anmerkung S.186 f.):
"Die Veranlassung der Feindschaft des Pilatus und Herodes war
nach den Betrachtungen der Erzählenden folgende: Pilatus hat-
te an der Südostecke des Tempelberges, über die Schlucht, in
welche der Teich Bethesda sich leert, eine große Wasserleitung
78
und Unratableitung am Tempel zu bauen unternommen; Herodes
hatte ihm durch Vermittlung eines schlauen Herodianers, der im
Synedrium war, Baumaterial und achtzehn Baumeister, welche
auch Herodianer waren, dazu überlassen. Es war die Absicht des
Herodes, den römischen Landpfleger durch Verunglücken des
Baues mit den Juden noch mehr zu entzweien. Die Baumeister
bauten auf Umsturz, und als das kühne Werk seiner Vollendung
nahe, und noch sehr viele Bauleute aus Ophel damit beschäftigt
waren, die Gerüste unter den Bogenstellungen wegzubrechen,
harrten die achtzehn Architekten auf einem Turme der nahen
Gegend Siloa des Erfolges. Das Gebäude stürzte ein, aber auch
ein Teil ihres Standortes, dreiundneunzig Arbeiter kamen um,
aber auch achtzehn Baumeister. Der Einsturz geschah einige
Tage vor dem 8. Januar, des zweiten Lehrjahres Jesu, an wel-
chem Tage Johannes der Täufer in dem Schlosse Mächerunt ent-
hauptet wurde, und die Feier von Herodes? Geburtsfest dort be-
gann; es begab sich wegen des Einsturzes kein römischer Offizier
auf dieses Fest, obschon selbst Pilatus heuchlerisch eingeladen
war ...î
Die Mitteilungen der Seherin sind sicherlich keine verlässlichen
historischen Quellenangaben. Zeitgeschichtlich bemerkenswert
ist aber doch noch folgende Mitteilung, (S.187):
"Die Verfeindung des Pilatus und Herodes ward aber durch die
Rache, die der erstere mit wegen dieses verräterischen Baues an
den Anhängern des Herodes nahm, noch vermehrt. Am 25. März
warnt Lazarus am Badesee bei Bethulien den Herrn und die
Seinigen vor diesem Osterfeste, es drohe ein Aufruhr des Judas
Gaulonita gegen Pilatus. Am 28. März verkündet Pilatus in
79
Jerusalem die Tempelsteuer, teils mit um die Kosten der einge-
stürzten Tempelmauer zu decken, und es entsteht ein Tumult un-
ter den galiläischen Anhängern des Freiheitseiferers Judas aus
Gaulon, der mit seinem ganzen Anhange, ohne es zu wissen, ein
Werkzeug der Herodianer war. Die Herodianer aber waren eine
Gemeinschaft, wie heutzutage die Freimaurer, ich sehe sie oft
ganz als dasselbe. Am 30. März ist Jesus mit den Aposteln und
dreißig Jüngern zu Jerusalem im Tempel, er lehrt im braunen ga-
liläischen Gewand morgens 10 Uhr. An diesem Tage entsteht der
Aufruhr des Judas Gaulonita gegen Pilatus, die Meuterer be-
freien fünfzig ihrer vorgestern gefangenen Anhänger; es werden
mehrere Römer getötet. Am 6. April lässt Pilatus die opfernden
Galiläer durch verkleidete, im Tempel verteilte Römer überfal-
len und ermorden. Judas Gaulonita kommt dabei um. Pilatus
rächt sich so an Herodes in dessen Untertanen und Anhängern
wegen der eingestürzten Wasserleitung.î
31.)Goethe Johann Wolfgang (1795):Wilhelm Meisters Lehrjahre,
Reclam Stuttgart 1982, ISBN 3-150-07826-1, Hrsg. Ehrhard
Bahr, (S.139).
32.)Ziffer 13, Philo, (S.249).
33.)Ziffer 22, Flavius, (S.519 f).
34.)Zur Dauer der Reise von Cäsarea nach Rom bzw. dem Hafen
Putuoli liegen sichere Berichte nicht vor. Die Seefahrt dürfte güns-
tigsten Falls zwei Wochen gedauert haben (außerhalb des mare
clausum, das vom 11. Nov. bis 10. März dauerte), falls die Fahrt
der Küste entlang ging (mit Zwischenstopps), schreibt Sahm -
Sahm W. Ulrich: Was Seeleute zur Zeit Jesu sammelten, in:Das
heilige Land, 124. Jahrgang Heft 4 Dez. 1922 Köln, (S.12).
80
In seinem Werk Caligula nimmt Philo, (siehe Ziff. 13, Anmer-
kung 2, S.239), eine Reisezeit von vier Wochen zwischen Syrien
und Rom an.
Demandt nimmt an - Demandt Alexander:Hände in Unschuld,
Böhlau Verlag Köln-Weimar-Wien 1999, ISBN 3-412-01799-X,
(S.194f) - , Pilatus habe den Landweg genommen, was nicht ve-
rifiziert ist. Auch für eine Reisedauer von drei Monaten liegen
keine gesicherten Erkenntnisse vor.
Pilatus war nach seiner zehnjährigen Herrschaft mit Sicherheit
wohlhabend. Schon deshalb lässt sich vermuten, dass er die auch
damals für einen vermögenden Mann weniger strapaziöse
Schiffsreise gewählt hat. Unklar ist, ob ihn seine Frau begleitet
und ob er Sklaven mitgenommen hat; dazu liegen keine For-
schungsergebnisse vor.
Anschaulich informiert Breusing - Breusing A., Direktor der
Seefahrtschule in Bremen:Die Nautik der Alten, 1886 - hier be-
nutzt: Neudruck 1982, ISBN 3-500-21830-x - über die Schifffahrt
der Alten (auch über die "Reise" des gefangenen Apostels Paulus
nach Rom).
Da wie ausgeführt, Pilatus kein mittelloser oder gar gefangener
Passagier war, hat er vermutlich zu den bevorzugten Reisenden
gehört. Bei Breusing heißt es dazu, (S.161): "Auf dem Hinterdeck
waren bedeckte Räume hergerichtet, die dem Reeder und Schiffer
und vornehm Reisenden Obdach gewährten.î Breusing erwähnt
auch (S.196) die dürftige Unterbringung von "Kriegsleutenî und
Gefangenen und bemerkt, im Altertum hätten nur die ganz vor-
nehmen Passagiere täglich zubereitete Speisen erhalten, während
für die übrigen nur die vor der Abfahrt vorbereiteten Rationen
81
verteilt worden seien. (Die angeheftete Seekarte ist dem Werk
von Breusing aus dem Jahre 1886 entnommen.)
Die Annahme von Heiligenthal - Heiligenthal Roman, Pontius
Pilatus fünfter Prokurator in Judäa, in: MUT-Forum für Kultur,
Politik und Geschichte, Nr.404 April 2001, MUTVerlag Asendorf
- , Pilatus habe Glück gehabt, dass Tiberius schon gestorben war,
als er in Rom eintraf (S.87), wird kaum als gesichert anzusehen
sein. Trotz des Rüffels, den Pilatus von Tiberius wegen des
Aufstellens der Weiheschilde in Jerusalem einstecken musste ist
nicht auszuschließen, dass er inzwischen u.a. wegen des Baus
des Tiberieums in Cäsarea wieder persona grata geworden war
und mit einem Freispruch rechnete.
Zusammenfassend lässt sich über die Reise des Pilatus nach Rom
und den Zeitpunkt seines Eintreffens gesichert nur sagen: Er traf
nach dem Tode des Kaisers Tiberius (16.3.37) ein.
35.)Blinzler Josef: Der Prozess Jesu, Verlag Frierich Pustet Regens-
burg 1969 - hier benutzte 4. Auflage, (S.260 ff.).
Die umfassende Arbeit von Blinzler wurde - soweit zu überse-
hen , wohl ausnahmslos zu den Arbeiten aus neuerer Zeit über
den Prozess Jesu als unentbehrliche Hilfe herangezogen.
36.)Schürer Emil: Geschichte des Jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu
Christi, C.J. Hinrichsche Buchhandlung Leipzig 1901 - hier be-
nutzt 3. und 4. Auflage - (S.434).
Unter Hinweis auf Philo (Legatio), (siehe Ziff. 13) nennt Schürer
als Teilnehmer an der Klage beim Kaiser die Herodessöhne
Philippus und Antipas. Die zwei anderen Königssöhne sind nicht
namentlich auszumachen (Herodes der Grosse hatte zehn Söhne).
Schürer erwähnt als mögliche Teilnehmer: Herodes, Sohn der
82
Mariamme, genannt "Privatmannî, Herodes, Sohn der Kleopatra
und Phasael, Sohn der Pallas. Eine Beschreibung der Herodes-
familie würde eine gesonderte umfangreiche Monographie er-
fordern.
37.)Volkmann Hans:Die Pilatusanschrift von Caesarea Maritima,
in: Gymnasium 75, 1968, (S.124-135).
Strobel August: Die Stunde der Wahrheit, JCB Mohr (Paul
Siebek) Tübingen, ISBN 3-161-43041-7 1980, (S.108), (siehe
Anmerkung 28).
38.)Creizenach W.: Legenden und Sagen von Pilatus in: Beiträge
zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, herausge-
geben v. Paul Braune, Halle 1874, (S.89 ff.).
39.)Bamm Peter:Eines Menschen Zeit, Droemer Knaur Verlag Zürich
1972, ISBN 3-858-6003-4 - hier benutzte Auflage, März 1973,
(S.49). Bamm gibt keinen Quellenhinweis und er verlegt das
Gespräch des Pilatus mit Lamia, wie es Anatol France dichte-
risch schildert (siehe unten) fälschlich nach Saarbrücken. Der
saarländische Landeskonservator widersprach (auch im übrigen)
der Annahme von Bamm (Kolling in der Zeitung Rheinpfalz v.
9.4.1974).
Ferner: Petit Larusse, Paris 1909, (S.1525), ohne nähere
Hinweise.
40.)Blinzler, (siehe Ziff. 35, S.45 ff.), behandelt die nicht christli-
chen Quellen.
41.)Blank Josef: Die Johannespassion - Intentionen und Hinter-
gründe, in: Kartelge, (S.151 f.), (siehe Ziff. 12 am Ende).
42.)Thiede Carsten Peter, Zitat aus IDEA(Evangelische Nachrich-
tenagentur Deutschland) v. 11. April 2001.
83
Demandt, (siehe Ziff. 34), erörtert ausführlich die Tafel mit der
Aufschrift INRJ, dem "titulusî, (S.85 ff., 169 f., 185 ff.).
Er hält die Reliquie für eine (S.186) "pia frausî, ein Dokument
der Frömmigkeitsgeschichte. Eine Stellungnahme zu der An-
nahme von Thiede war ihm bei der Drucklegung seines Werkes
"Hände in Unschuldîim Jahre 1999 noch nicht möglich.
43.)Pesch Rudolf: Das Evangelium der Urgemeinde, Herder Frei-
burg-Basel-Wien 1979 - hier verwendet 3. Auflage 1984, (S.37
ff.).
44.)Dommershausen, (siehe Ziff. 18), (S.121 f.):
Paschafest: Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten (im
Frühjahr). Wochen- oder Pfingstfest: Dank für die Getreideernte;
Erinnerung an die Gesetzgebung auf dem Sinai (50 Tage nach
Ostern).
Erntedank- und Laubhüttenfestim Herbst: großer Versöhnungstag
im Herbst.
Das Volk demütigte sich durch Fasten, während der Hohepriester
das Allerheiligste des Tempels betritt und hier das Blut der
Opfertiere aussprengt. Zu den drei erstgenannten Festen hielten
sich in Jerusalem (etwa 30000 Einwohner) noch etwa 100.000
Festpilger auf. Von Wouk, (siehe Ziff. 11), (S.68 ff.), werden
nähere Einzelheiten zu den Festen mitgeteilt.
45.)Pixner, (siehe Ziff. 21).
46.)Blinzler Josef in: Lexikon für Theologie und Kirche, Herder
Freiburg, Dritter Band 1959, Spalte 419 zu Dismas, Vierter Band
1960 Spalte 843 zu Gestas (auch Gesmas) siehe auch Legenda
AUREA(entstanden zwischen 1263 u. 1273) Verlag Lambert
Schneider übersetzt aus dem Lateinischen von Richard Benz,
84
11. Auflg. 1993, (S.257 u. 258). Über die beiden Schächer, die
mit Jesus gekreuzigt wurden, siehe Lk. 23,39-43 und Mk. 15,27.
Dismas ist der legendäre Name des reuigen mit Jesus zur Rechten
und Gestas (auch Gesmas) zur Linken gekreuzigten Schächers,
der gegen Jesus lästerte. Dismas, der reuige Schächer, wird als
Patron der zum Tode Verurteilten verehrt. Ihm hat Jesus den
Eingang ("noch heuteî) ins Himmelreich versprochen.
47.)Die Zahl der unter Pontius Pilatus während seiner Amtsführung
(26-36/37) Gekreuzigten ist nicht bekannt.
Lapide (siehe Ziff. 9) führt aus, (S.73), Pilatus habe während
seiner Amtszeit - nach konservativen Schätzungen, sechstausend
Juden kreuzigen lassen. (Einen Hinweis, um welche "konserva-
tiven Schätzungenî es sich handelt, hat Lapide nicht gegeben).
Andere Autoren u.a.:
Otte Gerhard: Neues im Prozess gegen Jesus, in: Neue Juristische
Wochenschrift (NJW) 1992, Heft 16 (S.1019 - hier S.1021) ha-
ben diese Schätzungen erwähnt oder übernommen. Die
Zahlenangabe sechstausend ist jedoch nicht verlässlich.
Fricke - Fricke Weddig: Der Fall Jesus, Rasch und Röhrig Verlag
Hamburg 1995, ISBN 3-891-36562-4, (S. 261) und derselbe:
Standrechtlich gekreuzigt, Mai Verlag Buchschlag - hier benutzt
3.Auflg. 1987, ISBN 8-793-6169-x, (S.144) - spricht in beiden
Büchern gleichlautend von îHunderten und Tausenden..., die
unter dem kreuzigungsfreundlichen Pontius Pilatus hingerich-
tet wurden...î. Die Ausführungen von Fricke stützen die ange-
gebene Zahl nicht.
Auch aus der sehr negativen Beurteilung durch:
Philo, (siehe Ziff. 13), Legatio, (S.249f.), sind sichere Anhalts-
85
punkte für die Zahl der Kreuzigungen nicht zu erhalten. (Philo
charakterisiert Pilatus als unbeugsam und rücksichtslos. Er wirft
Pilatus vor: "Bestechlichkeit, Gewalttaten, Räubereien, Be-
drückungen, fortwährende Hinrichtungen ohne Urteilsspruch
und grenzenlose, unerträgliche Grausamkeitî.
Diese Charakterisierung lässt darauf schließen, dass Pilatus kaum
Hemmungen hatte, Kreuzigungen anzuordnen. Sie stützt aber
nicht die ungeheuer große, von Lapide angegebene Zahl dieser
infernalisch grausamen - auch von den Römern schon im
Altertum so empfundenen - Tötungen.
Zur Kreuzigung, ihrer Herkunft und ihrem Alter führt Bösen
(siehe unten Ziff. 55) - (S.228 ff.) aus: îDie Kreuzigung gilt ne-
ben der crematio (= Verbrennen) und damnatio ad bestias (=
Tierkampf in der Arena) als besonders grausam. Cicero, der
berühmte Redner und Anwalt im Rom des 1. Jh. v. Chr. nennt
sie die grausamste und fürchterlichste Todesstrafe... Für Tacitus
ist der Tod am Kreuz eine sklavische Todesstrafe, für Josephus
die erbärmlichste aller Todesarten... In Herkunft und Alter ist
die Kreuzigung ungeklärt. Glaubt man dem griechischen
Geschichtsschreiber Herodot (gest. 425 v. Chr.), wird sie erst-
mals von den Medern und Persern praktiziert. Zu ihrer Ver-
breitung trägt nicht wenig Alexander der Grosse (gest. 323 v.
Chr.) bei, der sie in seinem weiten Reich häufig anwendet. Zu
den Römern gelangt sie während der Punischen Kriege (1. Krieg:
264-241 v. Chr.) über die Karthager. In Palästina findet sie re-
lativ früh Anwendung... Alexander Jannäus (103-76 v. Chr.) läs-
st um 90 v. Chr. 800 Gegner in Jerusalem kreuzigen. Keinen
Gebrauch von dieser grausamen Strafe macht überraschender
86
Weise Herodes der Grosse (gest. 4 v. Chr.)... In Palästina erhe-
ben sich vor allem im Vorfeld des Jüdischen Krieges (66-74 n.
Chr.) warnend an vielen öffentlichen Stätten zahllose Kreuze.
...erst Konstantin wird die Kreuzigung wegen des Kreuzes Christi
abschaffen, vermutlich nach 320 n. Chr.î
Kuhn kommt für Kleinasien und Griechenland - Kuhn Heinz-
Wolfgang in seiner Monographie: Jesus als Gekreuzigter in der
frühchristlichen Verkündigung bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts,
in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 72. Jahrgang, Heft 1
(ZthK) Hrsg. Ebeling 1975, (S.1 ff.), hier (S.10) - zu dem
Ergebnis: "Für die ersten eineinhalb Jahrhunderte post Chr. n.
kenne ich keinen völlig sicheren Beleg für eine vollzogene
Kreuzigung.î
Kuhn führt an anderer Stelle - Die Kreuzesstrafe während der
früheren Kaiserzeit in Aufstieg und Niedergang der römischen
Welt... II, Hrsg. Temporini und Haase 1982, (S.648 ff. u. S.690)
óaus: îLeider gibt es noch keine ausreichende Darstellung der
Geschichte der Kreuzesstrafe, im strengen Sinne nicht einmal
im Ansatzî. Er stellt heraus: Die erste Kreuzigung, die in die-
sem Jahrhundert in Palästina bezeugt ist, ist die Kreuzigung Jesu
und der beiden mit ihm zusammen gekreuzigten Räuber (Lestai).
Zusammenfassend ist festzustellen: Die Anzahl der unter Pilatus
Gekreuzigten ist nicht bekannt.
Auch Müller K.H., (siehe Ziff. 12 am Ende), hilft uns mit sei-
ner eingängig formulierten Feststellung nicht weiter: î..denn die
unter Varus (verst. 7 n. Chr.) ausgelegte Blutspur lässt sich un-
ter dem späteren Statthalterregiment in der Provinz Judäa mühe-
los weiterverfolgenî.
87
48.)Rosen Klaus: Rom und die Juden im Prozess Jesu (um 30 n.
Chr.), in: Demandt (Hrsg.), Macht und Recht; Große Prozesse
der Weltgeschichte - hier benutzt 2. Auflage 1991, (S.39 ff., S.55
f.). Rosen vertritt die Auffassung, Pilatus habe Jesus aufgrund
seines Verhaltens wegen des Delikts der Contumica (hier auf-
sässiges Schweigen) verurteilt. Diese Rechtsansicht erscheint
nach dem mitgeteilten Prozessverlauf nicht vertretbar.
Otte Gerhard, (siehe Ziff. 47), (hier S.1024), widerlegt mit über-
zeugender Begründung die Rechtsansicht von Rosen.
49.)Porsch Felix: Johannes Evangelium, Verlag Katholisches Bibel-
werk Stuttgart 1988, insbes. (S.18, S.21, S.193 ff.).
Zur Verdeutlichung sei bei diesem Zitat der Aussage Jesu über
die Königswürde (Joh. 18,17 niedergeschrieben zwischen 90 und
100 n. Chr.), nochmals darauf hingewiesen, dass es sich nicht um
ein historisches Wortprotokoll handelt. Vielmehr ist es die Inten-
tion des Evangelisten, eine Verkündigung mitzuteilen zu einem
angstlosen Glauben an Jesus für alle, die "nicht gesehenî haben.
50.)Cohn (siehe Ziff. 23) zu dem Gerichtsverfahren vor Pilatus und
seinen "juristischen Hilfspersonenî.
51.)Bajsic Alois: Pilatus, Jesus, Barabbas, in Biblica, (Rom) 48,
1967, (S.7-28). Bajsic hebt die Prozesssituation hervor, nach der
Pilatus zwei in den Augen eines Teils der Bevölkerung nicht un-
bedeutende politische Gefangene zur Aburteilung îzur Verfü-
gungî standen.
52.)Waldstein Wolfgang: Untersuchungen zum römischen Begnadi-
gungsrecht (Abolitio-Indulgentia-Venia in Commentationes
Aenipontanae XVIII), Universitätsverlag Wagner Insbruck 1964,
insbes. (S.41-44).
88
53.)Hirschfeld Otto:Die ritterlichen Provinzstatthalter, in: Sitzungs-
berichte der Preussischen Akademie für Wissenschaften Berlin
1889, (S.439). Hirschfeld hält eine Ermächtigung zur Begnadi-
gung für möglich. Die Existenz eines Amnestiebrauchs wird vor-
nehmlich von nichtchristlichen Autoren bestritten. Siehe dazu
Otte, (Ziff. 47), (S.1025), mit Hinweisen:
Er bemerkt zu bestreitenden Autoren (Anmerkung 110): îBe-
zeichnend, dass Lapide und Fricke auf diese Belege für einen
Amnestiebrauch nicht eingehenî.
Otte kommt zu dem Ergebnis. îDer Bericht über das Angebot
des Pilatus, Jesus wegen des Passahfestes freizulassen, sprengt
... also nicht den Rahmen des Vorstellbarenî.
Hirschfeld, (S.31 ff. u. S.42), führt zu den Besatzungstruppen
aus: In Judäa standen ein aus Caesariensern und Sebastenern ge-
bildetes ALA(ALAI gemina Sebastenorum) und 5 Cohorten.
"Bei der geringen Zahl und schlechten Qualität der dem
Procurator zur Verfügung stehenden Truppen konnte derselbe,
trotz seiner mit unbeschränkter Kompetenz ausgestatten Stellung
der Anlehnung an den syrischen Statthalter, (siehe Ziff. 17a),
selbst am wenigsten entraten.î
54.)Der angebliche Wunsch eines Gewalttäters, sich bei den Unter-
drückten doch auch beliebt zu machen, ist nicht ungewöhnlich.
Aus der neueren Vergangenheit ist ein ähnlicher Fall bekannt:
Reinhard Heydrich, seit 1939 Leiter des Reichssicherheits-
hauptamtes (RSHA), organisierte im Januar 1942 die Ermordung
der in Deutschland lebenden Juden (Wannseekonferenz). Seit
1941 war er auch stellvertretender "Reichsprotektorî für Böhmen
und Mähren. Dieser gefürchtete und verhasste Mann rühmte sich
89
damit, dass er ohne Eskorte stets denselben Weg durch Prag fuhr
und bemerkte dazu: îWarum sollten denn "meine Tschechen" auf
mich schießen?î Dieser Besatzungsmachthaber wähnte und
wünschte, dass die Unterdrückten ihn auch noch mögen sollten.
Heydrich wurde durch ein Attentat 1942 getötet. Heyne Taschen-
buch: îReinhard Heydrichî, (S.275, S.331). Die Witwe Heydrichs
äußerte sich zum Attentat: îDoch mehr noch bedrückte mich die
Tatsache, dass "ausgerechnet Tschechen" Reinhard auf eine sol-
che Weise aus dem Weg geräumt hatten. (Lina Heydrich:Leben
mit einem Kriegsverbrecher, Verlag W. Ludwig, Pfaffenhofen
1976, (S.120).
55.)Bösen Willibald: Der letzte Tag des Jesus von Nazaret, Herder
Freiburg Basel Wien 1994, ISBN 3-451-23214-6, (S.213),
Anmerkung 82, (S.386) mit zahlreichen Hinweisen.
Zur Geißelung bemerkt Bösen, (S.32): îDer zu Geißelnde wird
entkleidet, auf den Boden geworfen oder mit den nach oben aus-
gestreckten Händen an eine niedrige Säule oder an einen Pfahl
gebunden, so dass die Henker ungehindert zuschlagen können.
Als Folterwerkzeuge dienen Lederpeitschen (lat.: horribile fla-
gellum oder flagrum), deren Riemen mit spitzen Knochen,
Bleikugeln oder sonstigen Metallstückchen durchsetzt sind. Im
Unterschied zur jüdischen Praxis (Höchstmass 40 Schläge we-
niger einen) ist die Zahl der Schläge (bei den Römern) nicht vor-
geschrieben. Sie liegt im Belieben der Henker ... die Geißelung
verursacht furchtbare Wunden, nicht selten stirbt das Opfer noch
während der Tortur.î
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56.)Von den zahlreichen Dichtern und Schriftstellern, die das Thema
behandelt haben, sind - ohne eine Wertung oder Zuordnung nach
bestimmten Kriterien - als Beispiele aufgeführt:
Bulgakow Michael: Der Meister und Margarita, Deutscher
Taschenbuchverlag München 1997, ISBN 3-423-12259-5.
Dürrenmatt Friedrich: Pilatusin: Die Stadt, frühe Prosa, Zürich
1952, (S.161-181).
Le Fort Gertrud: Die Frau des Pilatus, Insel Verlag Zweigstelle
Wiesbaden 1955.
Frisch Max: Die Chinesische Mauer in: Gesammelte Werke in
zeitlicher Folge Bd. II, Suhrkamp Verlag 1976, (S.140-227).
Ferner wird noch auf die Rockoper îJesus Christ Superstarî
verwiesen. Text von Andrew Lloyd-Webber, verfilmt 1972 in
den USA. Englischer Text in:
Kuschel Karl-Josef: Jesus in der Deutschen Gegenwartsliteratur,
Piper Verlag München Zürich 1987, ISBN 3-492-10627-7, S.333.
Auszug aus: Des Pilatus Traum, übersetzt
Ich träumte, ich traf einen Galiläer,
einen sehr erstaunlichen Mann...
Ich forderte ihn auf zu sagen, was
passiert war, wie alles begann...
Ich fragte ihn wieder. Er sagte
kein einziges Wort,
als ob er nicht gehört hätte.
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Als nächstes war der Raum voll von wilden
und zornigen Männern.
Sie sahen so aus, als hassten sie diesen
Mann, sie schlugen ihn nieder und
verschwanden dann wieder.
Dann sah ich 1000 Millionen, die
um diesen Mann weinten und dann
hörte ich sie, wie sie meinen Namen
erwähnten und sie überließen mir
die Schuld.
57.)Mehrere Autoren berichten über die Versuche, durch Anzeigen
den Prozess neu aufzurollen. U.a.:
Blinzler (siehe Ziff. 35), (S.16 f.).
Cohn (siehe Ziff. 50), (S.7).
Pesch Rudolf: Der Prozess geht weiter, Herder Bücherei Freiburg
Nr. 1597, 1987, ISBN 3-451-98507-0, (S.9).
58.)Speidel Kurt A.: Das Urteil des Pilatus, Verlag Kath. Bil-
dungswerk Stuttgart, 3. Auflg. 1988, ISBN 3-460-31281-5, (S.9).
59.)Sporschil, Georg: Fluch und Segen, in: Salzburger Hochschul-
wochen 1995, Verlag Styra Graz-Wien-Köln 1995, (S.17).
Die hier verwendeten Zitate sind der Arbeit v. Sporschil ent-
nommen.
60.)France Anatol: Der Statthalter von Judäa, in: Blaubarts Sieben
Frauen, Insel Taschenbuch 510,Leipzig,1981, (S.42 ff., S.55 f.).
61.)Hemingway Ernest: Heute ist Freitag, in: Die Ersten und die
Letzten, Bd. 6, Stories 1 Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbeck
bei Hamburg 1977 - hier benutzt 1989, (S.302 ff.).
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62.)Aitmatow, (Ziff. 7), (S.227-230, S.234 f.).
Am Schluss dieses Abschnitts lässt Aitmatow den gefesselten
Jesus zu Pilatus sprechen: "Und dennoch wirst du, Pontius Pilatus
in die Geschichte eingehen.î
63.)Lauter Hermann Josef: Theologische Anmerkungen zum Werk
Eugen Drewermanns, in: Kölner Beiträge Neue Folge, Heft 13,
Presseamt des Erzbistums Köln 1988.
64.)Lütz - Lütz Manfred: Der blockierte Riese, Psychoanalyse der
katholischen Kirche, Pattloch Augsburg 1999 - (S.36 f.)
Anmerkung (S.190 f., Nrn. 29, 30, 35; S.201 Anmerkung 277).
65.)Drewermann Eugen: Das Markusevangelium, Zweiter Teil,
Walter Verlag Olten 1988 - hier benutzt 3. Auflage. 1990, (u.a.
S.271, S. 571 f. u. S.577 f.).
Lauter führt in seiner kritischen Stellungnahme (S.24) aus, eine
neue Interpretation zur Erbsünde werde nicht abgelehnt. Er ist
jedoch der Ansicht, die Interpretation von Drewermann, wonach
die Ursünde (auch nach Kirkegaard) eine Folge der Urangst sei,
halte einer kritischen Nachprüfung nicht stand (S.24d). Lütz ge-
steht Drewermann trotz der an ihm geübten Kritik (s. bes. S.37)
"manche fruchtbaren Gedanken zuî.
(Zu der Sicht von Klaus Berger zu Drewermann siehe unten Ziff.
66).
Auf die Erkenntnisse von Drewermann ist meines Erachtens
nicht zu verzichten. - Sie sind hilfreich, um ein wenig hinter die
Wünsche, Antriebe, Motivationen und Emotionen des Pilatus zu
schauen.
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66.)Berger Klaus: Wie kann Gott Leid und Katastrophen zulassen?,
Gütersloher Taschenbücher (GTB 1449) Quell Gütersloher
Verlagshaus 1999, ISBN 3-579-01149-8.
Berger, Professor für Neutestamentliche Theologie a. d. Ev.
Theol. Fakultät der Univ. Heidelberg, vermittelt eine (von Lütz
abweichende) Sicht zu Eugen Drewerman. In dem Abschnitt,
Leiden als Versuchung der Kinder Gottes, (S.70 ff.), erwähnt er
als Beispiel (S.90): "Ein Drewermann, der für die Kirche Millio-
nen Herzen hätte gewinnen können, hätte man ihn nicht ver-
trieben, so dass alles wie auf Sand gesetzt ist. Und die Hundert-
tausende Ausgetretener bekommen für Generationen Gottes Wort
nie mehr zu hörenî.
Berger behandelt in einem Aufsatz zur Dämonologie ("Schil-
lernde Abgründeî) die Vaterunserbitten. Er schreibt, dass jedes
Vaterunser mit der exorzistischen Bitte endet, erlöse uns von
dem Bösen. "Das meint philologisch ziemlich eindeutig den
Bösen und nicht das Übel.î Er ergänzt das noch mit dem Bemer-
ken, hinter jedem Martyrium stecke der Teufel. (Rhein. Merkur
Christ und Welt (Schillernde Abgründe) v. 11. Juli 2002, S.23).
67.)Rahner Karl: Von der Not und dem Segen des Gebetes, Herder
Freiburg 1991, 2. Auflage, ISBN 3-451-22421-6, (S.99).
68.)Guardini Romano: Theologische Briefe an einen Freund, zitiert
nach:
69.)Szydzik Stanis-Edmund: Unaufhörliche Fragen: warum das
Leid?, in: heilen, Verlag Siering Bonn Nr. 1-2, 1999, (S.5 f.).
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Zu allen Zeiten waren Rechtsfindung, Rechtsprechung und Straf-
verfolgung von vielschichtigen Motiven und vielfältigen Umständen
geprägt. Deutlich wird das in besonderer Weise am Beispiel des
Pilatus. Das zu zeigen und an letzte Fragestellungen und Dimensionen
heranzuführen, ist Anliegen dieses Buches.
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