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Egino Weinert

Leben und Werk

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Aus dem Buch:

DER KÜNSTLER EGINO G. WEINERT

ALS LEHRLING

Als Bruder im Kloster Münsterschwarzach

Rausschmiss aus dem Kloster


Begegnung mit Picasso

Begegnungen mit den Päpsten






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Kontakt


IMPRESSUM








Goldschmied, Maler und Bildhauer
Erinnerungen, Gespräche, Visionen

Egino G. Weinert

Goldschmied, Maler und Bildhauer


Erinnerungen, Gespräche, Visionen



INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort - - - - - - - - Seite 7

Egino G. Weinert - - - - - - - - Seite 9

Kindheit - - - - - - - - Seite 10

Leben im Kloster - - - - - - - - Seite 17

Ausbildung und Gesellenzeit - - - - - - - - Seite 23

Auflösung des Klosters durch die Nazis 9. Mai 1941 - - - - - - - - Seite 30

Militärzeit (1941-1945) - - - - - - - - Seite 34

Kriegsende (8. Mai 1945) - - - - - - - - Seite 45

Werkschule Köln 28. August 1947- 19. August 1949 - - - - - - - - Seite 48

Klosterausschluß - - - - - - - - Seite 55

Expose zu den Werken von Egino G. Weinert - - - - - - - - Seite 57

Der Weg zum selbständigen Künstler 1949 - - - - - - - - Seite 82

Das Kelleratelier in Bonn 1949-1956 - - - - - - - - Seite 88

Einzug in Köln mit Atelier und Werkstatt 1956 - - - - - - - - - Seite 102

Kontakte mit dem Vatikan - - - - - - - - Seite 102

Aus der Werkstatt geplaudert - - - - - - - - Seite 130

Anhang - - - - - - - - Seite 149

Erzbischhof Bruno B. Hiem über Egino G. Weinert - - - - - - - - Seite 149

Monsignore Dr. Franz Ronig, Professor für Kunstgeschichte in Trier - - - - - - - - Seite 151

Ausklang - - - - - - - - Seite 151

Lebenslauf - - - - - - - - Seite 158

Vita - - - - - - - - Seite 158

Begegnungen mit Personen der Zeitgeschichte - - - - - - - - Seite 160





VORWORT


Die Gedanken und Erzählungen von EGINO G. WEINERT in ihrer Fülle sind Impressionen, hingetupft wie ein bunter Blumenstrauß.
Mit diesem aus vielen persönlichen Gesprächen entstandenen Buch versuche ich, ein Porträt des Künstlers EGINO G. WEINERT zu zeichnen. Sein faszinierendes Leben ist durch das Elternhaus, das Leben im Kloster der Benediktiner, die Härte des Krieges und die Zeiten der Armut, durch seine Schaffensfreude und seinen lebendigen Glauben, so wie durch Begegnungen ganz eigener Art mit namhaften Künstlern und großen Persönlichkeiten wie PAPST PAUL VI. auf seinem Weg.
Mein Weg führte mich Anfang der fünfziger Jahre in Bonn fast täglich an seinem Kelleratelier auf der Kronprinzenstraße vorbei. Angezogen von außergewöhnlichen Ausstellungsstücken hinter dem kleinen Kellerfenster ñ Kelche, Monstranzen und Schmuck ñ faßte ich eines Tages den Mut und klinkte die Türe auf. Im Halbdunkel kam mir in dem feuchten Kelleratelier ein großer Mann entgegen, der sich durch das wirre dunkle Haar strich, und ich entdeckte, daß ihm die rechte Hand fehlte: Egino G. Weinert. Schon damals umgaben ihn seine Werke in drängender Fülle.
Die neue, schlichte, strenge Art der Gestaltung erinnerte mich an Leuchter, die ich auf den Seitenaltären der Benediktinerabtei in Münsterschwarzach kurz zuvor gesehen hatte.
ÑDaran habe ich mitgearbeitetì, erfuhr ich von dem Künstler, Ñdenn Sie müssen wissen, ich war da fünfzehn Jahre lang Klosterbruder, eine wunderbare Zeit, bis 1949 ..., aber das ist eine lange Geschichte ...ì
Davon will ich erzählen und aus dem überfließenden Reichtum seines Lebens berichten.
Egino G. Weinert ist eine faszinierende Persönlichkeit, die wir, mein Mann und ich, zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Waltraud auf Reisen und Stationen seines Schaffens begleiten durften. Mit ihm sind wir nach Portugal zur Einrichtung einer Karmeliterinnenkirche in Aveiro gereist, nach Fatima zur Einrichtung der ungarischen Stephanuskapelle, nach Galeazza (Italien) und nach Denia (Spanien).
In Sommernächten auf der Terrasse seines Hauses in Denia bannten und begeisterten uns seine bunt schillernden Erzählungen über Ereignisse, die ihn begeisterten oder kränkten und Erlebnisse, die ihn formten. Mein Mann las Lebensgeschichten Heiliger und Geschichten aus der Bibel vor, spontan unterbrochen durch gehaltvolle Anmerkungen und Diskussionen.
Wir sahen dabei zu, wie unter der künstlerischen Hand aus einer dünnen Schicht Plastilin auf Holzuntergrund gelegt, halbplastische, lebendige, ausdruckstarke Figuren erwuchsen. Die nächtelangen Gespräche erschlossen uns Facetten und Phasen seines Lebens, in denen sich seine Liebe zu Gott immer wieder neu spiegelt.

VITA DES KÜNSTLERS EGINO G. WEINERT


03.03.1920 Geboren in Berlin-Schöneberg als Ältester von fünf Geschwistern
01.10.1934 Eintritt in das Lehrlingsheim des Benediktinerklosters der Abtei Münsterschwarzach, tätig in der Missionsabteilung
1935 Ein Jahr Landwirtschaft, zwei Jahre kaufmännische Lehre
1936/37 Ausbildung bei dem Restaurator und Kirchenmaler Bruder Lukas und Bildhauer Professor Valentin Kraus
25.04.1937 Postulant, Eintritt in die Klostergemeinschaft
27.04.1938 Aufnahme als Novize, Ordensname Bruder Egino
11.07.1937
ñ1940 Ausbildung als Goldschmied
04.05.1939 Zeitliche Profeß
01.09.1939
ñ7.05.1945 Zweiter Weltkrieg
11.07.1940 Gesellenprüfung als Gold- und Silberschmied (mit Auszeichnung)
1941 Gefängnis in Würzburg, Ottostraße, wegen Hitlergrußverweigerung
01.12.1941 Einzug zum Militärdienst bei der Marine
1942 Gemeinsames Malen mit Günther Blunk und Ewald Jorzig (in Wilhelmshaven und Zeven)
13.09.1944 Meisterbrief als Gold- und Silberschmied (Bremen)
1944 Marinesoldat in Italien (La Specia)
1945 Kriegseinsatz und Ende des Krieges in Küstrin und Schleswig-Holstein
28.05.1945 Entlassung und Rückkehr ins Kloster
11.03.1946 Verlust der rechten Hand im Elternhaus in Berlin durch eine als Sicherung getarnte russische Sprengkapsel
1946 Erste Arbeit mit einer Hand in der Goldschmiede: eine ÑPaxtafelì
28.08.1947
ñ19.8.1948 Besuch der Werkkunstschule in Köln als Klosterbruder
1947 Goldschmiedeklasse bei Professor Elisabeth Treskow
1947 Metallbildhauerei: Professor J. Jeckel
Graphik: Professor Husmann
Kunstgießerei: Drei selbst modellierte plastische Figuren
Semesterpreis bei Professor Jeckel und Professor Treskow
20.06.1948 Währungsreform
16.03.1949 Entlassung aus dem Kloster
1949 Weiterer Besuch der Werkkunstschule
Freie Malerei bei Professor Direktor Vondemberge
1949 Gründung eines eigenen Ateliers für Goldschmiede, Malerei und Bildhauerei in Bonn im Keller Kronprinzenstraße 3
1950 Gründung eines Ateliers in der Schweiz (Luzern, Weihestraße 12)
06.1.1951 Heirat mit Anneliese Leopold in Bonn
1951 Geburt von Tochter Gisela, 1954 Geburt des Sohnes Clemens, 1957 des Sohnes Egino und 1961 des Sohnes Fidelis
1954 Eröffnung einer Galerie in Bonn, Kronprinzenstraße 1
1956 Einzug in Köln, Marzellenstr. 42, Atelier und Werkstatt bis heute
1963 Gründung eines zweiten Ateliers mit Werkstatt in Denia, Spanien
Erste Begegnung mit Papst Paul VI.
198o Erweiterung des Ateliers in Köln und des Ausstellungshauses in Königsdorf (bei Köln)
1985 Tod seiner Frau Anneliese
Wiederverheiratung mit Frau Waltraud Foerster
1985 Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande
1994 50-Jahrfeier als Kirchen- und Goldschmiedemeister und seiner Tätigkeit als Maler und Bildhauer
1995 Meßfeier am Stefan-Lochner-Altar im Kölner Dom zum 75. Geburtstag
1995 Erstellung des ersten Kunstkalenders. Themen: Heilige Familie, Heilige in der Ehe, Heilige Eheleute
1996ñ2002 Kalender mit den Evangelien der drei Lesejahre
1997 Gestaltung der Weihnachtsbriefmarke für die Post in Luxemburg
2000 Meßfeier in der St. Maria-Himmelfahrtskirche auf der Marzellen-straße zum 80. Geburtstag des Künstlers, zelebriert von Abt Fidelis (Kloster Münsterschwarzach), Abt Nikolaus (Kloster Strahov in Prag) und von Probst Johannes (der Prämonstratenser Chorherren, Schönbrunn, Bayrischer Wald)
2001 Große Glasfenster für die Benediktiner-Abtei in Korea



Überblick über die Äbte der Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach während der Klosterzeit von Bruder Egino:

1914ñ1937 Abt Placidus Vogel
1937ñ1959 Abt Burkard Utz
11.07.1959ñ01.10.82 Abt Bonifaz
seit 05.11.82 Abt Fidelis
EGINO G.WEINERT

ist ein weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannter Goldschmied, Maler und Bildhauer. Sein Atelier befindet sich im Schatten der Domtürme auf der Marcellenstr. 42 in Köln.
Schon beim Eintritt überrascht die Fülle der ungewöhnlich gestalteten sakralen Gegenstände des früheren Benediktinerbruders: handvergoldete Kelche mit biblischen Darstellungen, vielfältig nach eigenwilligen Entwürfen geformt; Madonnen, Skulpturen und Heiligengestalten auf oft nur handtellergroßen Email- oder Bronzebildern, Schreine und Tabernakel, daneben außergewöhnlicher, ansprechender Schmuck. Durch den schmalen Verkaufsraum, wo seine Frau Waltraud die Kunden betreut, vorbei an Werken, die in Vitrinen und Fächern keinen Platz mehr finden, führt der Gang in die Werkstatt, in der seine Mitarbeiter wirken. Der Verlust der rechten Hand, den er im Alter von fünfundzwanzig Jahren erlitt, zwang ihn, besondere Techniken zu entwickeln.
Die Werke von Egino G. Weinert tragen seine unverwechselbare Handschrift. Er wurde geformt durch die offene, kompromißlose Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschick, Begegnungen mit Künstlern, dem Studium ihrer Werke und den Besuch der Werkkunstschule in Köln. Seine geistigen Impulse und seine vielseitige Ausbildung verdankt er dem Benediktinerkloster Münsterschwarzach, das er 1949 verlassen mußte, vor allem wohl deshalb, weil er mit seiner modernen gegenständlichen Kunstrichtung der damaligen Kunstauffassung des Klosters nicht entsprach, das dem Beuroner Stil anhing. Er gestaltet plastische Bilder aus dem Alten und Neuen Testament, eingefaßt in ausdrucksvoller, das Thema unterstreichender Ornamentik. Egino G. Weinerts Kirchenportale, Altäre, Kreuzwegstationen, Kanzeln, Taufbecken, Leuchter, Tabernakel, Ambonen tauchen an vielen Orten der Erde auf wie in Amerika, Skandinavien, Brasilien, Dänemark, England, Italien, Portugal, Spanien, Tschechien, Schweiz, Belgien, Japan, Korea und Israel.
Mit der linken Hand schafft er die feinsten Biegearbeiten. In seinen emaillierten Werken, Bildern und seinem Schmuck findet sich eine künstlerische Technik, die meisterhaft von ihm beherrscht wird. Seine Darstellungen sind kraftvoll, glutvoll, allen verständlich. Er formuliert: ÑIch fühle mich wie ein Kind, das zu Füßen Gottes spielt.ì
Schon weit über tausend Heilige, deren Lebensgeschichten er einzeln studierte, hat Egino G. Weinert in seinen Bronze- und Emailbildern wieder zu neuem Leben erweckt: ÑSie alle waren Menschen, die Großartiges geleistet haben.ì
Er bleibt in allem der Benediktinischen Auffassung treu, den Gewinn seiner Arbeit so gering wie möglich zu halten. Diese Einstellung half ihm nach harten Hunger- und Betteljahren zu unvergleichlichem Erfolg. Sein Bestreben ist es, auch dem Ärmsten seine Kunst erwerb- und erlebbar zu machen. So wirkt er wie ein Missionar, der versucht, in allem Gott, dem Schöpfer aller Dinge, und den Menschen zu dienen.





KINDHEIT

DURCH DAS LOCH IM FRIEDHOFSZAUN
Geboren wurde ich am 3. März 1920 als Ältester von fünf Kindern in Berlin Schöneberg, Hauptstraße ñ Ecke Martin-Luther-Straße. Getauft wurde ich auf den Namen GÜNTHER FRANZ STANISLAUS PRZYBYLSKI in der Norbertkirche gegenüber dem prachtvollen Schöneberger Rathaus über dem Taufbrunnen, der ja von der evangelischen Königin Luise von Preußen gestiftet worden war. Als nach den vier Jungen ein Mädchen, Marianne, 1930, das Licht der Welt erblickte, so erinnere ich mich, wurden wir Jungen losgeschickt, eine Brigidenschwester zur Hilfe für Mutter zu erbitten. Sie kam täglich, durfte nichts zu essen annehmen und half bescheiden.
Ich erinnere mich noch an viele Einzelheiten aus meiner Kinderzeit in Berlin...
Als Kind mußte ich einen großen Strauß Margeriten dem ersten Nuntius in einem Sportstadium überreichen, mit einem Gedicht. Trotz der Bemühungen einer Souffleuse fiel mir nichts ein. Ich war viel zu aufgeregt. ñ
Um den Weg zur Kirche abzukürzen, schlüpften wir durch ein Loch im Friedhofszaun, damit sparten wir eine Viertelstunde Weges. Wir spielten als Kinder auf dem Friedhof, wetzten über die Gräber, das war romantischer als auf der Straße. Meine ganze Jugend spielte sich vor der Kirche St. Fidelis ab. Hinter dem Friedhof befanden sich die ÑRaunschen Bergeì, wo von der Ufa Filme gedreht wurden wie ÑStürme über dem Mont Blancì, ÑWeiße Reiter in Schwarz-Weiß-Afrikaì; für uns Kinder war es etwas Besonderes, Filmschauspieler zu sehen, Autogramme zu jagen. Wenn irgendwo etwas los war, fiel der Verdacht natürlich zuerst immer auf die Weinertsjungen.


MEINE ERSTEN KONTAKTE MIT KÜNSTLERN

Schon als Achtjähriger konnte ich an der Eröffnung einer Kunstausstellung im Schöneberger Rathaus teilnehmen, die mein Vater als Angestellter betreute. Eine Tante, eine Graphikerin, förderte mein Zeichentalent und machte mich mit vielen Künstlern bekannt. Außer mit unserem Nachbarn EMIL NOLDE und mit MAX PECHSTEIN, die in unserem Elternhaus ein- und ausgingen, kam ich mit OTTO MÜLLER, GEORG GROSZ und OTTO DIX in Berührung. MAX LIEBERMANN, ein vornehmer Mann, ñ selbst Hindenburg mußte sich bei ihm vorher anmelden lassen ñ, Präsident der Secession, führender Meister des deutschen Impressionismus, beurteilte Noldes ausgestellte Gemälde als: ÑSchmiererei, aber malen kann er.ì Der Vater von Liebermann war Bankdirektor und wohnte im ersten Haus links gleich hinter dem Brandenburger Tor. Wenn Ausstellungen im Schöneberger Rathaus geplant waren, mußte er erst die Genehmigung geben. Wenn Vater bei ihm vorsprach, mußte ich draußen warten. Mein Vater stellte den Malern unsere Kellerräume als Atelier zur Verfügung. Wenn alle gegangen waren, schlich ich mich in den Keller, um mir die Bilder anzusehen. Ich dachte mir damals: ÑWas die in so hinreißenden Farben unfromm malen, male ich jetzt anders in genauso schönen Farben .ì Meine ersten Herz-Jesu-Bilder entstanden. Ich zeigte Emil Nolde die schönen Bilder, doch der war entsetzt: ÑJunge, laß lieber die Finger von diesen frommen Sachen, male lieber die Hühner in eurem Hühnerstall.ì Damals entdeckte ich eine Zeitung namens ÑMichaelì, eine Jugendzeitschrift von Herder, mit Scherenschnitten von Frau BOISSEREÉ, von ANNA NAGEL und Andachtsbilder von RUTH SCHAUMANN. Aber auch diese Bilder entsetzten Nolde. Außerdem stieß ich hier auf Werke von KAMPENDONK, WINDELSCHMIDT, BARLACH, EWALD MATARÉ, THORN PRICKLER, PROFESSOR WALTER MELLMANN und MAX PECHSTEIN, der inzwischen nach Amerika ausgewandert war. Ich habe immer gemalt. Glaubensverkündigung erfuhr ich durch Radio oder Bilder (im Friedrich-Wilhelm-Museum). EL GRECO mißfiel mir: ÑNein,ì sagte ich mir, Ñso lange Figuren machst du nicht.ì


FRÜHE IMPRESSIONEN

Als Junge schon zog ich mit zwei Freunden los, um zu zeichnen, zu malen und zu schwätzen. Auf die grüblerische Frage, ob es Gott wirklich gibt, fanden wir die Antwort: ÑNaja, gibt es IHN, so haben wir auf das Richtige gesetzt, wenn nicht, wäre es der schönste Traum von der Schöpfung her.ì Richtig habe ich GOTT erst durch Jesus kennengelernt ... Zusammen mit meinem Bruder Werner, der später in Stalingrad fiel, feierte ich, neunjährig, die Erste Heilige Kommunion. Sie war für mich etwas Besonderes: Ein großes, einschneidendes Erlebnis, das mein ganzes Leben bestimmte.
An meiner Firmung später störte mich die unpersönliche Art der Spendung. Eine Lehrerin war Patin von ñ so schien es mir ñ Ñzweitausendì Kindern. Das ärgert mich bis heute, daß unsere Lehrer uns nicht die grundlegende Bedeutung der Firmung überbracht haben. Wir waren so viele Kinder, mußten lange warten, bis wir in die Kirche durften, eine Massenabfertigung. Das war noch vor Hitler. Es hieß, die Familien hätten keinen Sinn für die Firmung. Deshalb gestaltete ich Jahre später ein Firmungskreuz ñ jedem Kind sollte man das Kreuz umhängen, das auf Christus hinweist und den Heiligen Geist.
Unser Pfarrer Pater Ratte, ein Hiltruper Missionar vom Heiligsten Herzen Jesu in Berlin an der St. Fideliskirche, kämpfte gegen die Nazis. Als Meßdiener engagierte ich mich für die Kirche. Für den Ordensbruder Hoppe trug ich dreizehnjährig die Kirchenzeitung aus, für unseren Pfarrer riß ich die Nazi- und Kommunistenzettel von den Litfaßsäulen ab, um sie ihm stoßweise zum Einstampfen zu bringen. Es gab zu der Zeit eine Menge Arbeitslose, an jeder Ecke standen sie. Hitler machte von sich reden, und man hoffte 1933, der Mann würde Deutschland von der Arbeitslosigkeit befreien. Denn was der damalige Reichskanzler Brüning gemacht hatte und die anderen Politiker in der Weimarer Republik, wurde uns als lächerlich hingestellt. Es kam der Röhmputsch. Aber wir konnten das Geschehen um uns noch nicht begreifen, auch nicht den Tod von DR. ERICH KLAUSENER. Er war der Leiter der ÑKatholischen Aktionì gewesen. Am 30. Juni 1934 wurde er in seinem Büro von Nationalsozialisten erschossen.
B.: ÑDer, der ihn miterschossen hat, ist zu acht Jahren verurteilt worden. Seine Sekretärin erzählte, SS-Leute, darunter ein Hauptsturmführer, und ein Gestapo-Kommissar stürmten in sein Zimmer, schossen auf ihn, stellten sich vor die Türe, warteten bis er verblutet war und machten sich auf und davon. Meiner Meinung nach war der Anlaß zur Ermordung die Rede, die er am Katholikentag in Berlin-Hoppergarten gehalten hat. Er war wegen seiner Gradlinigkeit den Machthabern des Dritten Reiches seit langem verhaßt. Er hatte sogar nach der Rede das Lied ëFest soll mein Taufbund immer stehení laut angefangen zu singen, in das die versammelte Menge einfiel.ì
E.G.W.: ÑAls Meßdiener war ich bei seiner Beerdigung dabei. Er wurde auf unserem Friedhof an der 1. Station des Kreuzwegs ëUnschuldig zum Tode verurteiltí beigesetzt. Kein Grabstein durfte aufgestellt werden. Ich hatte noch die Kirchenzeitung ausgetragen, in der sein Tod mitgeteilt wurde. Seine willkürliche Erschießung wurde darin totgeschwiegen. Die Urne mit seiner Asche ist jetzt in der 1963 erbauten Kirche ÑMaria Regina Martyrumì in Berlin-Charlottenburg beigesetzt, einem Ort zur Erinnerung an den Tod der Widerstandskämpfer gegen die Nazis.ì


MEIN VATER

war ein Deutschnationaler, ein Kaisertreuer. Obwohl er kein Abitur hatte, brachte er es zum Stadtrat. Er hatte im Ersten Weltkrieg als Sanitäter bei den Kämpfen an der Somme in Frankreich ein Bein verloren und konnte so seinem geliebten Beruf als Schafzuchtmeister nicht mehr nachgehen. Vater war ein akurater, vornehmer Mann, sauberer Anzug, Eisernes Kreuz, pflichtgetreu, Haltung! Für ihn war es eine Ehre, Soldat zu sein. Wir durften nicht schlürfen, nicht berlinern. Er war mir so lieb, ñ ich hättí ihn immer Ñknutschenì können. Er war aber auch ein Ñkomischer Heiligerì. Er war Nazi und Blockwart, führte uns aber sonntags immer nach Schöneberg zur Kirche. Während der Messe saß ich ungern auf seinem harten Holzbein. Sein vom Beten zerfleddertes Gebetbuch halte ich noch heute in Ehren. Eines Tages hatte er mich als Neunjährigen in das Jungvolk der Hitlerjugend gesteckt. Pfarrer Ratte tobte. Es gab keine Jugendgruppe für mich. Es existierte wohl die Deutsche Jugendkraft DJK und ÑNeu-Deutschlandì der Jesuiten, das aber nur den Gymnasiasten zugängig war. Daraufhin gründete unser Pfarrer Ratte eine Art Kolpinggruppe, die aber nur inoffiziell existieren durfte. Auch gab es sonst zu dieser Zeit keine gemischten Gruppen mit Jungen und Mädchen. Wir nannten ihn nur Pfarrer Maus, er kam aus Köln, war erst Bilddrucker, dann Regierungsrat und später Pfarrer und Krankenhausgeistlicher. Unser Pfarrer hat Hitler in jeder Predigt Ñdurch den Kakaoì gezogen, aber ganz vorsichtig! Der Pfarrer sagte eines Tages zu unserem Vater:
ÑSie haben fünf Kinder, vier von ihnen stehen als Meßdiener am Altar. Sie kommen mir nicht mehr mit der Uniform in die Kirche. Darauf mein Vater: ÑDann komme ich nicht mehr zu Ihnen beichten.ì Er sympathisierte eine zeitlang mit den Freimaurern. Der Tod seines zweiten Sohnes im Krieg hat ihn aber wieder sehr gewandelt.
Ich habe nur einmal von meinem Vater Prügel bezogen, weil ich zuhause ein Jahr lang angab, meine Hausaufgaben bereits in der Schule gemacht zu haben. Ab jetzt mußte ich immer wieder einen Aufsatz als Strafarbeit vorlegen, den ich säuberlich auf Pergamentpapier malte oder in Buchform band. Jetzt konnte ich ihnen zeigen, wo meine Stärke, Kraft und Lust lag.
Kinderwagen schieben, Staubputzen, jeden Tag Klavier spielen, das war nicht meine Sache. Ich war ein Träumer, aber auch aktiv, vor allem musisch. Alle Museen zogen mich an. Meine Bilder, ja, damit war ich der Beste in meiner Klasse. Viele Scheren- und Linolschnitte aus dieser Zeit wurden weggeworfen, was mich später dazu veranlaßte, Unzerbrechliches zu schaffen. Auch ROMANO GUARDINI lernte ich als Meßdiener und in Gesprächskreisen kennen. Er begeisterte mich.
Vater erwarb 1931 in Blankenfelde bei Rangsdorf ein Grundstück, einen halben Morgen, wo er eine Wohnlaube errichtete, unsere Residenz. Die Eltern schliefen in gedrechselten Holzbetten, wir auf Schlafsäcken, die tagsüber unter den Betten verschwanden. Auch hatte der naturliebende Vater in der Laubenkolonie in Friedenau zusätzlich eine Parzelle gepachtet. Ein anderes Urlaubsziel war Rove an der Ostsee, wo wir bei einem Bauer und Fischer wohnten. An den mecklenburgischen Seen konnte ich meiner Angelleidenschaft nachgehen wie an den Berliner Wassern, vor allem dem Plötzensee. Öfter hatte ich einen Fisch an der Angel neben dem fahrenden Boot wie auch später in Denia in Spanien, wo ich in meinem Motorboot über dem Malen manchmal den Fisch vergaß, der schon von den größeren gefressen wurde. Hier an der Ostsee entdeckte ich in den Dünen unter einem aufgespannten Sonnenschirm den Maler MAX PECHSTEIN. Zu dem robbte ich mich mit einem Regenschirm und meinem Malzeug.


Unser Wohnsitz wurde öfter verlegt. Wir zogen in das Viertel der Kriegsversehrten auf die Röblingstraße 15 und später auf die Domnauerstraße 29. Das Haus sollte nach fünfundzwanzig Jahren Mietzahlung Eigentum werden. Hier hatte der Vater ein Haus mit Stall, Hühnern und einer Ziege. Es lag an der Opelversuchsstrecke. Auf der Avus-Rennstrecke wurde der Raketenantrieb ausprobiert. Ich lag auf der Wiese und träumte, mit einem Band die Ziege am Bauch festgebunden, bis ich um vierzehn Uhr den Vater abholen mußte. Er baute mit mir Drachen, die wir steigen ließen. An der Schnur befestigte ich einmal einen raufziehenden Briefgruß Ñan den lieben Gottì.
Die Gärten meines Vaters waren immer ein Blumenmeer. Als ich meine Eltern später nach Spanien holte, überreichte er meiner Mutter jeden Morgen eine Rose ... Ich liebe von Jugend auf Gärten, den Kirschbaum, meine Erdbeeren, meine Radieschen. Ich habe immer das Bedürfnis gehabt, zu sagen: ÑDas gehört mirì, wofür mein Vater vollstes Verständnis hatte.


VOM MÜLLERGESELLEN ZUM REICHEN KAUFMANN

Das Jüngste von achtzehn Kindern war meine Mutter Berta. Meine Großmutter mütterlicherseits hatte mit ihrem ersten Mann, einem Müller, 15 Kinder, der sich aber, nach einer mißglückten Bürgschaft arm geworden, an der Backofentüre erhängte. Danach heiratete die Großmutter den Gesellen ihres zuvor verstorbenen Ehemannes, der bald 18 Kinder zu versorgen hatte. Ein dynamischer Mann, mein Großvater, mit viel kaufmännischem Geschick. Er erwarb Bauernhöfe, 16 Pferde und ein Fuhrunternehmen, Gaststätten, ein großes Hotel, eine Bäckerei, eine Motorradfabrik, ein Beerdigungs- und ein Straßenbauinstitut und ging leidenschaftlich gerne auf die Jagd. Meine Großmutter, eine fromme, tüchtige Frau, sah ihre vielen Kinder als Gottes Gabe und nahm sie dankbar an, was er immer anerkannte. Nach dem Ersten Weltkrieg, während der Inflation, hat mein Großvater vieles verkauft und wollte mit dem Geld arbeiten.

MEINE MUTTER

war eine strenge und fromme Frau: Ich wüßte nicht, daß sie einmal das Tischgebet vergessen oder mit uns morgens oder abends nicht gebetet hätte. Das gab es einfach nicht. Ihre Kochkünste und die Führung eines Hotelbetriebes hatte sie im Hotel ihres Vaters erworben. Sie war zum Katholizismus konvertiert aus Überzeugung unter Mithilfe des jungen Grafen Spee, mit dem sie freundschaftlich verbunden und in dessen Elternhaus sie als angesehene Köchin tätig war. Er fiel im Ersten Weltkrieg in der Nordsee bei der Schlacht im Skagerrak.
Mein Vater, Franz Stanislaus Przybylski, den meine Mutter Berta, geb. Klopsch, 1919 in der Mathiaskirche in Berlin heiratete, nahm den Namen ÑWeinertì für seine Familie in den Anfängen der Nazizeit an, weil er deutscher klang und besser zu buchstabieren war. Zu dieser Zeit änderten viele in Deutschland ihre ausländisch klingenden Namen.
Auf der Tempelhofer Chaussee war einmal in der Woche Markt. Ein richtig schöner Wochenmarkt, der aber für meine Mutter mit der Kiepe auf dem Rücken weit weg war. Wir mußten vorbei an der Laubenkolonie, der Zeppelinfabrik, vorbei an Schwarzkopf, der Fabrik für Parfümerie und Haarsachen, deren Müllecke für mich Anziehungspunkt war nach dem Kirchgang. Herrliche Flaschen und Dosen kramte ich da aus. Als die St. Fideliskirche in der Nähe gebaut wurde, entfiel der kilometerweite Marsch zur Herz-Jesu-Kirche am Tempelhof. Jeden Tag bekam Mutter 5 Mark für den Haushalt. Ein Ei kostete 10ñ12 Pfennige, drei Brötchen 10 Pfennige, ein Pfund Kirschen 0,2 Pfennig, Pflaumen auf dem Markt 0,5 Pfennig, die Butter 10 Pfennig, aber als Adolf Hitler kam, stieg der Preis auf 1,80 Mark, damit die Bauern besser verdienen sollten. Der Keller von Mutter war voll mit Eingemachtem. Um ein Zimmer einen Tag lang zu heizen, brauchte sie drei Briketts. Um zwanzig Uhr wurde der Ofen zugedreht, so glimmte die Glut bis zum Morgen. Ein Zentner Briketts kostete 90 Pfennige. So kam Mutter mit 20 Mark für das Heizen aus. Sorgsam hob sie auch die Pferdeäpfel von der Straße auf für Vaters Rosen und Kakteen.
Meine Mutter hat so manchen Stock über meinem Rücken zerbrochen. Später entschuldigte sich die zarte Frau herzlich: ÑDu hast die Prügel für deine vier Geschwister als Ältester mitübernehmen müssen.ì Aber ich war mit meinen Eltern zeitlebens herzlich verbunden. Ich schrieb ihnen alle vierzehn Tage einen Brief. Viel später holte ich sie zu mir nach Denia, an die Ostküste von Spanien, und richtete ihnen ein kleines Haus mir gegenüber ein. Der Bürgermeister kam mit anderen fast täglich aus der Stadt in der Sonnenglut den Berg hinaufgepilgert zu einer Tasse Kaffee bei meiner Mutter. ÑUnd obwohl sie die Sprache nicht kannte, gab es viel zu lachen und herrlich zu schmausenì, schwärmte der Bürgermeister noch lange Zeit später.
Heute, wo ich selbst ein Krüppel bin, verstehe ich, daß ich Vaters Wunsch, einen Karren mit Esel für die Fahrt in die damals kleine Stadt zu besitzen, nicht genug Bedeutung beimaß. Als die Eltern im hohen Alter starben, dachte ich, daß ich ihren Verlust nie verwinden könne.


MIT DER FLÖTE BEI SEINER SCHAFHERDE

Mein Großvater väterlicherseits, der aus einer alten Schafzüchterfamilie stammte, war mit seinen elf Kindern nicht ganz so kinderreich wie die Großeltern meiner Mutter. Die Kinder wuchsen auf zwischen Schafen und Gottesfurcht ñ auf Gott wartend. Er hat nie verstehen können, daß seine Kinder in die Stadt abwanderten. Diese Freude, alles wachsen und gedeihen zu sehen, zu bedenken, daß alles ein Geschenk Gottes ist, hat er immer wieder seinen Kindern gepredigt. Als ein Sohn ihm einmal Essen bringen wollte, sah er seinen Vater inmitten der Herde knien, betend mit erhobenen Armen. Wenn er seine Hunderte von Schafen vorantrieb, griff er zur Flöte. In den Ruhezeiten strickte er. Die großen Schulferien verbrachten wir immer auf seinem Bauernhof, genannt Ñdie Schmachtì. Eine Kutsche holte uns vom Bahnhof ab. Bevor mein Großvater starb, überreichte er mir viel zu große Handschuhe. Auf mein Erstaunen antwortete er: ÑDie sind nicht für Kinder gemacht, das sind Handschuhe, wenn du einmal groß bist.ì Meine Großmutter spann die Wolle mit den Mägden. Die Wolle wurde abgeliefert, ein Beitrag zur Pacht der großen Güter. An den lehmigen Straßen waren Obstalleen, die zum Hofe führten. Die Pflaumen wurden schon in der Blütezeit versteigert. Die Bezahlung richtete sich nach dem zu erwartenden Ertrag. Man wartete möglichst die Eisheiligen ab, danach waren bessere Preise zu erzielen. Vater hat die Früchte in Körben zur Versteigerung gebracht, den Rest fauler Früchte vergoren. Im Herbst stellte er die Fässer auf die Straße und schwefelte sie. Das stank wie die Pest.
Die Knechte bekamen im Monat zwanzig Mark und Verpflegung. Es gab Ziegen- und Schaffleisch und Eier in Hülle und Fülle, denn es war ein großer Hof mit mehr als tausend Schafen, mit Hühnern, Gänsen und Kühen! In der Mitte der Scheune, auf der Tenne, hing ein dampfender Kessel über dem offenen Feuer, aus dem die Großmutter immer heißes Wasser für den Kaffee schöpfte, daneben ein langer Tisch, um den sich alle versammelten. Wenn wir da waren, kochte Mutter. Erst wenn Großvater das Besteck in die Hand nahm, durften die anderen mit dem Essen beginnen. Sie mußten aufhören, wenn er seine Gabel abgelegt hatte. Bei Familientreffen wurden die neuen Frauen vorgestellt und beäugt, ob sie auch fromm genug waren. Die Kutsche brauchte am Sonntag fast eine Stunde durch den Hohlweg hinauf zur Kirche. Wir Kinder stiegen unterwegs aus und sammelten Wald- und Himbeeren in eine Dose. Vor der Kirche mußten wir warten und das Pferd mit dem Futtersack beobachten. Die Pferde wurden angebunden.
Der Hofhund, ein Bernhardiner, begleitete mich beim Erdbeernpflücken. An einer Schneise wuchsen sie rechts und links. In kürzester Zeit füllte sich meine Zweilitermilchkanne. Auch die Pilze und Pfifferlinge waren so zahlreich ñ die Wälder gelb von Pfifferlingen.
Einmal erzählte mir Großmutter eine Begebenheit. Großvater spielte in der guten Stube auf seiner Flöte unentwegt. Großmutter bat ihn, er solle aufhören, damit er die Kinder nicht aufwecke. Er aber spielte und spielte. Da entriß sie ihm die Flöte und zerhackte sie vor seinen Augen. Tja, das war eben meine Großmutter väterlicherseits, eine resolute Frau. Unsere Familie läßt sich weit zurückverfolgen bis ins 16. Jahrhundert. Ein Urvorfahre, Bürgermeister in Bamberg, soll als Schafzüchter nach Polen gezogen sein, um dem Einfluß der Hugenotten zu entfliehen. Sie wanderten von der Ukraine bis Rügen und stellten auf dem Wege ihre Zuchtschafe den Schafen der Bauern zur Verfügung.
Einer meiner Vorfahren hat bei der Überwinterung seiner Schafherde an der Ostsee alle Tiere bei einer großen Sturmflut verloren, als 1872 die Insel Fehmarn sich vom Festland löste. Um sich neue Zuchttiere zu beschaffen, fuhr er nach London. Zur Führung eines Herdbuches mußte man ein Zeichen vorweisen. England war schon immer groß in der staatlichen Registrierung von Zuchtvereinen. Um mit einer kleinen Herde den Lebensunterhalt bestreiten zu können, verdingte er sich bei einem Grafen in Posen als Rittmeister und baute mit dessen Hilfe einen Bauernhof mit großen Stallungen in Betsche. Mein Vater hatte uns immer erklärt, es existiere ein Wappen derer von Przybylski ñ das heißt Ankömmling ñ, ein schwarzer Bock mit einer goldenen Krone und roter Zunge auf weißem Feld, worüber wir uns amüsierten. Als ich später aber in London die Nuntiatur von Erzbischof DR. HEIM einrichtete, fand der Nuntius, ein begeisterter Heraldiker, wirklich das Wappen in den Londoner Annalen und hielt es in seinem in englischer Sprache verfaßten Buch fest.




MIT MEINEM ONKEL AUF DEM PFERDEWAGEN

Unser schöner Bauernhof Ñdie Schmachtì, in der Gegend von Jessen, sieben Kilometer von Wittenberg, ist heute so heruntergewirtschaftet. Die Fotos, die mir kürzlich zugeschickt wurden, hätte ich meinem Vater nicht zeigen dürfen. Er wäre ohnmächtig geworden vor Wut.
Mit meinem Onkel, der unweit der Schmacht seinen Hof hatte, zog ich donnerstags oft mit dem Pferdewagen über Land, die geladenen Kübel voll mit dem Blut der geschlachteten Schafe. Er schüttete die Kübel in die Teiche, an denen der Weg vorbeiführte. An den Gaststätten wurde das Fleisch abgeliefert. Während er überall zu einem Trunk eingeladen wurde, interessierte ich mich für die Spielautomaten. Einen durfte ich nicht mehr benutzen, weil ich ihn mit einem Trick leeren konnte. Bei einem Lehrer, der auch Fleisch von meinem Onkel bezog, konnte er in der Scheune mit seinem Pferd weinselig schlafen. Ich war stolz, auf dem Bock neben ihm zu sitzen, wo er auf dem Wege nach Hause regelmäßig einschlief. Wenn das Pferd auf dem Hof scharrte, hob ihn die herbeigeeilte Cousine vom Bock und brachte ihn zu Bett. Das Pferd lief allein in den Stall, wo das Futter bereitstand. Unsere Familie war die einzige katholische im Ort, in der protestantischen Gegend.

KLOSTERLEBEN
1934 bis 1949

AUFNAHME IN DAS BENEDIKTINERKLOSTER ALS ZÖGLING

Am 1. Oktober 1934 wurde Egino G. Weinert in das Benediktinerkloster Münsterschwarzach bei Würzburg aufgenommen. Seine Eltern erhofften sich für den vierzehnjährigen Berliner Jungen eine gute Ausbildung. Bei den Jesuiten in Lietzensee hatte er sich auf Anraten des Vaters zur Aufnahme in das Gymnasium beworben, die Prüfung aber nicht bestanden. Dann sollte er auf eine Kadettenschule, doch da flog er sofort wieder raus, weil durch ihn im Treppenhaus eine Stinkbombe in Gang gesetzt wurde. Er hatte sie auf dem Schulweg, ausgestellt hinter einem Glasfenster, entdeckt. Sie war bunt, eine glitzernde Kugel und hatte ihn fasziniert. So besuchte er weiter die Volksschule und kam zu einem Maler, der aber meinte, er solle Architektur studieren, weil er vom Malen nicht leben könne. Vor Ostern 1934 wurde er für drei Monate zu einem Ferienaufenthalt ins Benediktinerkloster Münsterschwarzach geschickt mit einer Gruppe Berliner Jungen. Wieder zurück in Berlin, orientierte er sich in der Zwischenzeit in einer Werkstatt für Glasmalerei und Mosaik von August Hoff, bevor er im Herbst 1934 im Kloster Münsterschwarzach wunschgemäß Aufnahme fand.
Von allen Klostergemeinschaften sagten ihm die Benediktiner mit ihren Werkstätten und ihrem missionarischen Anliegen am meisten zu. Hier hoffte er in der Bildhauerei und Malerei eine entsprechende Ausbildung zu erfahren und mit der Aussage seiner Werke einmal Zugang zur Mission zu finden.
Das Benediktinerkloster Münsterschwarzach liegt ñ nahe der Universitätsstadt Würzburg ñ in Mainfranken, eingebettet in Weingärten. In die weithügelig gestreckte Landschaft ragen die charakteristischen vier Türme der Klosterkirche.
Um das Jahr 788 wurde Münsterschwarzach als Benediktinerinnenkloster gegründet. Nachdem die letzte karolingische Äbtissin 877 gestorben war, übernahm der Männerorden der Benediktiner das Kloster. Im 11. Jahrhundert entstand eine Basilika im romanischen Stil. Nach deren Verfall wurde Ende des 17. Jahrhunderts eine barocke Basilika errichtet, an deren Bau Balthasar Neumann mitwirkte, die aber nach der Säkularisation (1803) verwaiste und verfiel. In Münsterschwarzach entdeckte ein Bruder namens Hieronymus im Jahre 1913 beim umherschweifenden Betteln für die Mission ein heruntergewirtschaftetes Gut, das er seinem Abt als Klosterneugründung im Frankenland vorschlug. Schon 1914 konnte Prior Placidus, der zuerst das Schlosserhandwerk hatte erlernen müssen, als Abt dort einziehen, wo neues klösterliches Leben an dem Flüßchen Schwarzach, das in den Main mündet, entstand.
Zu dieser Zeit hatten die Klöster einen großen Zulauf zu verkraften. Andere Klöster waren schon in der weiteren Umgebung entstanden wie St. Ottilien und die Abtei in dem Heilbad St. Ludwig.
Den Missionsgedanken hatte 1882 der Beuroner Mönch Andreas am Rhein aufgegriffen. Er stieß aber zuerst, auch von kirchlicher Seite, auf Widerstände.
Münsterschwarzach gehört heute der Missionskongregation St. Ottilien, Schweikelberg, Dreikönigsmünster, Utznach und der Abtei Fiecht an.
Im Jahre 1935, Egino G. Weinert war gerade ein Jahr zuvor eingetreten, wurde mit dem Bau der jetzigen Abteikirche begonnen. In der Urkunde zur Grundsteinlegung am 28.7.1935 heißt es: Ñ... in einer Zeit, die dem Kloster feindselig entgegenstand, mit Adolf Hitler als Führer und Reichskanzler an der Spitze des Deutschen Volkes.ì
Die Ausschreibung für den Entwurf der Abteikirche hatte der Dombauarchitekt Dominikus Böhm gewonnen. Sein Entwurf erschien dem Konvent der Mönche aber zu modern. Architekt Bosslet, der den zweiten Preis gewonnen hatte, erhielt den Auftrag, die Kirche mit Hilfe beider Pläne zu bauen. 1936 wurde der Bau fertig erstellt, 1938 geweiht.


BAU DER KLOSTERKIRCHE

Egino G. Weinert erzählt: Die Steine zum Bau der Kirche mußten in Gerlachshausen, dem nächsten Ort, gebrochen werden. Als der erste Lastwagen mit Steinen für die Kirche anrollte, ergatterte ich den ersten Stein und plazierte ihn auf das Feld dahin, wo ich noch kurz zuvor Kohlköpfe geerntet hatte und die Kirche gebaut werden sollte. Wir transportierten die Steine in einer Kolonne von sieben Wagen, voran der Ochsenkarren mit mir und meinem Zeichenblock, den ich nie vergaß einzustecken. Das trug mir den Namen Ñder Ochsenmalerì ein. Der Wein in Franken schmeckt, wie ich viele Jahre später merkte, genauso wie der Staub, der Geruch der gebrochenen Steine. Wir mußten Steine zerklopfen und in Kessel füllen. Der gebrannte Kalk wurde in einer Kiste angemacht. Die weiche Kalkmasse rettete einmal mein Leben, als ich das Faßmalen beim Kirchenmaler erlernte und hoch oben das Gesimse mit Ornamenten verzierte. Anstatt mich festzuhalten, drückte ich das Gerüst von der Wand und sauste aus der Höhe genau in so eine Kalkkiste hinein. Das weiche Zeug fing mich auf.

Zum besseren Verständnis des Werdegangs des früheren Klosterbruders Egino, seines Heranreifens zum Künstler und Gestalter Christlicher Kunst ÑEgino G. Weinertì, seien einige Gedanken auch aus der Regel des heiligen Benedikts skizziert, die ihn sein Leben lang begleiten haben und ihm auch heute noch wertvolle Impulse geben.
BENEDIKT wurde um 428 n. Chr. zur Zeit der Völkerwanderung im umbrischen Nursia geboren. Er bricht das Studium der freien Künste ab, um sich in die wilde Schönheit und Einsamkeit von Subiaco zurückzuziehen auf der Suche nach Gott. Die Regel, die er für sich und die ihm Nachfolgenden und Nacheifernden später auf dem Monte Cassino entwarf, ist bis heute überliefert. Sie stützt sich nicht nur auf die Bibel als das Licht und die Stimme Gottes, sondern empfahl auch das Studium der Vorgänger klösterlichen Lebens wie PACHOMIUS, BASILIUS, CASSIAN und AUGUSTINUS, die im 4. und 5. Jahrhundert lebten.
Benedikt strebte eine Stabilisierung des mönchischen Lebens an, indem er empfahl, an Wassern Mühlen und Werkstätten zu bauen, damit die Mönche keinen Grund mehr hatten, umherzuschweifen.
Jede Abtei der Benediktiner steht für sich, unabhängig von anderen Dachorganisationen.
Zahlreiche Benediktinerklöster, die im Laufe der Zeit entstanden, wurden Kulturträger Europas. So wirkte Großes der Benediktinermönch Winfrid, um 680 geboren, 754 gestorben, aus Angelsachsen. Er ist bekannt geworden unter dem Namen Bonifatius. Mit dem Einsatz seines missionierenden Stammes, darunter Willibrod, Wunibald und Lioba, schuf er mit an den geistigen Vorraussetzungen für das Reich von Karl dem Großen.
Heute unterhält die Abtei Münsterschwarzach eine Reihe von Werkstätten und Betriebe, in denen die Brüdermönche zusammen mit Angestellten arbeiten und auch Lehrlinge ausbilden. So gibt es unter anderem eine Druckerei, eine Buchbinderei, einen Verlag, eine Bäckerei, Metzgerei und Küche, Schneiderei, Schuhmacherei, Spenglerei, Tüncherei, Schlosserei, Töpferei, Metalldrückerei, Schmiede, Elektro-Landmaschinen- und Kfz-Werkstatt, sowie eine Goldschmiede, Gärtnerei und Landwirtschaft. In einer ÑInfirmerieì werden kranke und alte Mitbrüder gepflegt. Von fünf bis achtzehn Uhr ist der Mönch eingebunden in gemeinsames Beten und Arbeiten nach dem Wahlspruch: ORA ET LABORA.
Zu der Zeit als Egino G. Weinert im Kloster lebte sah der Tagesablauf in Münsterschwarzach so aus.

04.15 Uhr Aufstehen, 1/4 Stunde Waschzeit, Matutin, Laudes in der Kapelle, damals getrennt von den Patres, die in Latein in der Kirche beteten.
Anschließende Betrachtung, ein Mitbruder las vor. Stille.
05.15 Uhr Heilige Messe, Danksagung, Stille, Prim und Terz.
Frühstück: trockenes Brot mit Marmelade oder einem Stück Wurst ñ geröstetes Korn und Malzkaffee in der Fastenzeit.
07.00 Uhr Arbeitszeit. Jeder Platz wurde eingeteilt durch den Arbeitspräfekten.
09.30 Uhr Zweites Frühstück, meist trockenes Brot, Marmelade und Obst in der Erntezeit.
12.00 Uhr Sext und Non ñ Gebet mit anschließendem Mittagessen mit Vorlesungen.
12.45ñ Gemeinsame Rekreation, Aufhebung des Schweigegebotes mit
13.10 Uhr der Möglichkeit zur Unterhaltung, zum Spaziergang und Sport.
15.30 Uhr Stärkung. Arbeitszeit bis 18.00 Uhr.
18.15ñ
19.00 Matutin, das nächtliche Stundengebet, und geistliche Lesung.
19.30 Uhr Abendessen
20.00 Uhr Komplet, das Abendgebet, anschließend Nachtruhe.
Samstags Arbeitszeit bis 17.30 Uhr. Nach der Komplet blieb dem einzelnen nur wenig Zeit für sich selbst. Während der Arbeiten wurde der Rosenkranz oder die Lauretanische Litanei gebetet.

Zur Erklärung: Prim ist das Morgengebet bei Sonnenaufgang, die Terz das Gebet um die dritte Stunde, 9 Uhr. Die Sext ist das dritte Tagesgebet zur sechsten Stunde, also um 12 Uhr. None ist das Gebet zur neunten Tagesstunde um 3 Uhr nachmittags; Matutin ist das nächtliche Stundengebet.
Heute ist so manches gelockert:

04.40 Uhr Wecken
05.05 Uhr Beginn der Chorgebete Matutin, Vigil, die Nachtwache am Vortag hoher Feste, und Laudes, die Lobgesänge, in deutsch!
05.45 Uhr Stille Betrachtung
06.15 Uhr Eucharistiefeier, anschließend Frühstück
07.40 Uhr Arbeitszeit bis 11.45 Uhr
12.00Uhr Mittagshore
Mittagsessen
Mittagspause
13.30 Uhr Arbeitszeit bis 17.00 Uhr
17.00ñ
18.00 Uhr Freizeit
18.00 Uhr Abendhore und Vesper
Abendessen

Zur Hirarchie ist zu sagen:
Der Abt ist der Oberste der Gemeinschaft der Mönche. Ihm steht ein Prior als Vertreter zur Seite. Die Hauptverwaltung führt der Cellerar.
Für die religiöse Betreuung des Klosters ist der Konvent zuständig. In den Konvent werden heute 12 Offiziale gewählt, die zusammen das Kapitel bilden. Die Kapitulare sind die ÑOberstenì.

Zur Klosterzeit von Bruder Egino herrschte, wie damals allgemein üblich, auch im Kloster das Autoritätsdenken.
Jeder der vierhundert Brüder und Mönche wurde zu den unterschiedlichsten Aufgaben eingesetzt.
Egino G. Weinert liebte die Klostergemeinschaft, der er fünfzehn Jahre lang angehörte, zuerst als Zögling, dann, 1936, als Postulant und von 1938 an als Novize ñ über den Wehrdienst und das Kriegsende hinaus ñ bis 1949. Eine Zeit, die ihn prägte und ihm schon in jungen Jahren vielfältiges Wissen vermittelte. Das bildete eine breitgefächerte Grundlage für sein späteres Schaffen von vor allem sakraler Kunst als Maler, Goldschmied und Bildhauer.
Egino G. Weinert sagt:
Die Benediktinerklosterregel ist eine der schönsten Dinge, die ich kenne. Der heilige Benedikt hat mich sehr geprägt. Das Hören und diese Hingabe. Er sagte zu seinen Novizen: ÑHorche, mein Sohn, neige deines Herzens Ohr und lausche, was der Herr zu dem Geiste, also zu dem Menschen spricht. Der Weg in den Himmel, in die Ewigkeit kann nicht anders als steinig und schwierig sein, aber hat man ihn einmal beschritten, ist es eine Wonne, ihn bis zum Ende zu gehen.ì Benedikt war der erste, der das Gebet dem Arbeiten voranstellte; dem Gebete soll nichts vorgezogen werden.
Viele Mönche haben von ihrer Hände Arbeit gelebt, Matten geflochten, Teppiche geknüpft und diese Produkte nur gegen das notwendige Entgelt, das sie zum Leben brauchten, weggegeben. Er lehrte, die Ordensleute sollten ihre Dinge wohlfeiler verkaufen, als die Weltmenschen es zu tun pflegen.
Nicht der Kommerz zählt ñ was muß ich unbedingt herausholen ñ, sondern, was brauche ich unbedingt zum Leben. Die Intention ist die Bescheidenheit.


DAS LEBEN ALS MÖNCH: EINFACH, ABER SEHR GLÜCKLICH

Zum Chorgebet bin ich gerne gegangen. Wir standen damals morgens um 4.15 Uhr auf. Ein Bruder weckte mit einer Glocke den Saal, der mit dreißig Brüdern belegt war. Die Schlafzellen waren mit Vorhängen abgetrennt, die Älteren hatten einen Raum zu zweit oder viert. Bei dem Ruf ÑBenedicamus dominumì, antworteten wir ÑDeo gratias! Laudatur Jesus Christus in aeternum. Amen.ì
Man war noch ganz im Schlaf. Im Winter war es dazu noch lausig kalt. Wir mußten erst das Eis in der Waschschüssel einschlagen. Es gab keine Federbetten, nur Decken und Strohsäcke, die einmal im Jahr erneuert wurden. Furchtbar, ich habe jeden Morgen Schwierigkeiten gehabt und dachte bei mir, ob ich das ein Leben lang durchhalte ... Kaum aber war ich aus dem Bett, stand ich schon an der Waschschüssel und rannte durch den Garten zur Kirche. Das Chorgebet erfüllte mich so mit Jubel, daß alle Schwierigkeiten zerstoben. Aber auch dahin nahm ich manchmal Papier und Zeichenstift mit, und wenn es mich überkam, machte ich schnell, versteckt hinter dem Chorgestühl, eine Notiz oder Zeichnung; eigentlich schon eine kleine Sünde.
Früher schliefen die Mönche in den Klöstern auf Stroh in Gewölben, die zum Kreuzgang ausliefen. Die Leute waren viel ärmer. Natürlich gibt es manches, das wir heute nicht mehr verstehen. Zum Beispiel, daß der Abt an einem besonderen Tisch ißt und seine eigene Küche hat. Das hat Benedikt in seiner Regel aufgeschrieben, also das ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Das kommt noch aus dem römischen Herrschaftsdenken. Schweigen ja, aber mit gesenktem Haupt sollten wir gehen. Ob das auch in den Regeln steht? ñ Ich stand in der ersten Reihe. Alle kamen an mir vorbei. Ich konnte sie an den Füssen erkennen.
Wir Brüder durften kein Latein lernen. Ich wäre sehr daran interessiert gewesen. Abends im Kloster war es immer sehr schön zusammen. Ich meine, man kann auch alleine beten. Aber das gemeinsame Beten hat mir in meinem späteren Leben immer gefehlt.
Einmal im Jahr auf dem Gartenfest zu Johannis, am 24. Juni, bekamen die Brüder eine Flasche Bier, jeden Freitag Apfelmost und Käse. So wie die Bayern essen, kannten wir es in Berlin nicht. Zum Frühstück gab es immer trockenes Brot mit Marmelade oder einem Stück Wurst. Ich habe immer von schönem Essen geträumt. Wir haben sehr einfach gelebt. Aber ich war ein sehr glücklicher Mensch im Kloster.


GEDANKEN ÜBER DIE ÑGLÜCKLICHE SCHULDì

Osternacht im Kloster! ñ ÑOh glückliche Schuld!ì Die besten Sänger, die wir im Kloster hatten, haben das ganz feierlich vorgetragen. Uns lief es kalt und warm über den Rücken. Damit ist die Menschheit dem Himmel zugeführt trotz der Sünde, aber Gott selber hat uns angenommen, die Barmherzigkeit Gottes war größer als alles, was vorher da war. Doch das Leid der Menschen ist geblieben. Jeder Mensch leidet bis zum Schluß und ist dem Bösen ausgeliefert. Augustinus sagt, das Leid würde vergehen, Leid ist Lüge, der Teufel ist Lüge und das vergeht. Die Frage ist, ob es bei dem Großen Gericht noch einen Teufel gibt, oder ob er dann zerstört wird, so daß das Böse nicht mehr existiert. Die Engel müssen wie wir einen freien Willen gehabt haben, wo sie sich frei entscheiden konnten. Sie kämpften mit der Schärfe des Geistes und nicht mit dem Schwert. Luzifer mußte eingestehen, daß er Michael unterlag, daß er nichts war, daß er eine Lüge ist. Nach dem letzten Gericht gibt es nichts Böses mehr.
ÑOh glückliche Schuldì ñ das hat die Kirche durch alle Jahrhunderte musikalisch und literarisch bewegt. Ohne die Sünde hätten wir nie die erbarmende Liebe Gottes erfahren. Wie wunderbar, daß Gott immer alles zum Besseren lenkt, sich nicht vom Teufel unterkriegen läßt, sondern seine Herrlichkeit immer wieder größer offenbart.


KLOSTERZUCHT UND PERSÖNLICHE ORGINALITÄT

Ich träume noch heute von den alten Mönchen die schönsten Träume. Ich sehe im Kloster die Mönche beim Beten, gehe zu ihnen hin und frage sie, wie sie das machen, so ruhig zu beten, ich hätte das nie so fertig gebracht. Sie antworten: ÑWenn du Gott erfahren hast, paßt du dich an.ì
Bevor die Mönche in den Chor schreiten, kehren sie in sich. Es geht durch sie hindurch wie ein Geist, und sie erleben, wie man betet, was man betet, wie man sich vorbereitet. Ich sehe sie schwebend wie Engel in den Chor eingehen. Diesen Traum habe ich nicht nur einmal geträumt.
Ein andermal träumte ich, daß jeder mir erzählte, wie er von Gott erfaßt sei.
Ich weiß nur, es war eine Seligkeit, die du gar nicht steigern kannst.
Und sah, sie haben gebetet.
Ich habe gesehen, wie der Himmel sich freute.
Keine Sorge, ich habe keine Engel gesehen!
Es war so verklärt.
Ich glaube, das wird so schön, wenn wir den Schöpfer sehen.
Andere sagen, wir müssen ganz neue Wesen werden, sonst würden wir verbrennen.
Jesus sagte, wir werden seine Brüder, wir werden mit ihm eins werden.
Daß wir dazu fähig sind.
Wenn wir sterben, werden wir all unsere Sünden sehen und mit ÑBegeisterungì in das Fegefeuer gehen, um das endlich abzubüßen, was wir angestellt haben.
Ich denke an Pater Mathäus. Als Oberregierungsrat ins Kloster eingetreten, studierte er noch Theologie. Er hat sehr, sehr lange Predigten über die Mutter Gottes gehalten. Wir lächelten alle, wenn wir zu ihm zur Beichte gingen. Vor einer Stunde kamen wir nie heraus, waren aber immer selig über das, was der Mann versuchte zu vermitteln aus seiner Lebensweisheit und Gottesliebe. Wenn er auf der Kanzel stand und sprach, dachtest du jeden Moment, er würde abheben, schweben.
Vor der Messe suchten wir im Frühling Maiglöckchen im Wald und brachten sie zum Marienaltar, der für uns ein Idol war, für mich als Bildhauer sowieso. Kurz nach meinem Eintritt ins Kloster war Bruder FRANZ, ein Bildhauer, gestorben. Bei seiner Beerdigung erfuhr ich etwas Merkwürdiges. Er hatte gebeten, daß sein Sarg vor das von ihm geschaffene Muttergottesbild an der Hauswand aufgestellt und dazu das ÑSalve Reginaì gesungen werden sollte. Ein Vogel setzte sich auf die Steinplastik und sang und sang inmitten der dreihundert Leute.
Frater MAURUS, Professor der bildenden Künste aus München, der gerade als Bruder in den Orden eingetreten war, hatte die bayrische Krone dieser Madonna, ohne jemanden zu fragen, über Nacht stark verändert. Das gab viel Ärger im Kloster, denn ein Offizialer, ein Vorgesetzter, wachte über die Kunstwerke, in unserem Fall Pater WUNIBALD. Nichts durfte raus, ohne von ihm abgesegnet zu sein.
Frater Maurus sagte später öfter: ÑEs ist nicht leicht, Künstler im Kloster zu sein.ì


GEHT IN DIE WELT ...

Viele alte Mönche wollten nicht Priester werden, weil sie dadurch vom Dienen hätten etwas abgeben müssen.
Nein, wir haben nicht gekuscht. Ich war nur einer der wenigen, der eine ÑBerliner Schnauzeì hatte und sie dem Abt gegenüber auch mal aufgemacht hat. Die anderen hatten einfach nicht den Mut, Mißstände beim Namen zu nennen. Brüder waren die Dienstboten der Oberen. Sie konnten früher nicht wählen, nicht mitbestimmen, weil sie keine Konventualen, keine stimmberechtigten Mitglieder des Klosters waren, die sich entgegen der Aussage Benedikts auch abhoben durch andere Kleidung. Die Priester trugen augenfällig eine andere Kapuze und einen weißen Kragen. Nach Benedikt aber durfte es keine Unterscheidung geben, nur fand Beachtung das Alter der Zugehörigkeit zum Kloster. Die Benediktinerklöster Maria Laach und Beuron bewirkten eine Veränderung. Aber uns wurde immer gesagt: ÑWenn Ihr nicht glücklich seid im Kloster, geht in die Welt ...ì
Regeltreue verlangte: pünktlich zum Gottesdienst, pünktlich zum Offizium zu erscheinen. Ich war ein krankhafter Zuspätkommer, habe mir Mühe gegeben, pünktlich zu sein. Aber wie Bruder BONIFAZ kam ich oft zu spät. Wir litten beide darunter. Er war ein guter Bildhauer, der jedes Mal, wenn ein Stück fertig war, zur Posaune griff und ÑGroßer Gott, wir loben Dichì spielte.
Als Junge war ich neugierig, aber ausgesprochen schüchtern. Auf Urlaub aus dem Kloster bei meinen Eltern verbot mir mein Vater, mir meine Haare, wie es im Kloster zu der Zeit üblich war, ganz abschneiden zu lassen. Zurück im Kloster wußte ich nicht, wie ich das dem Schuldirektor erklären sollte. ÑAch Quatschì, meinte der, ÑRübe runter. Es gibt nichts anderes als Glatze.ì Typisch für mich war: ich ging in die Kirche und klingelte den Abt in den Beichtstuhl. Tatsächlich kam der alte, gütige Abt PLAZIDUS. Unter Tränen brachte ich mein Anliegen vor. ÑAch, Junge, daran hängt doch kein Ordensberuf, Hauptsache deine Seele ist in Ordnung.ì Ich war der erste, der im Kloster längere Haare tragen durfte ñ aber nur aus Angst vor meinen Eltern.
Für den Menschen, der Gott sucht, bietet das Kloster einen wunderbaren Weg. Die Berufsfindung für mich war sehr schwer. Ich versuchte, mich als Bruder einzuordnen. Meine Vorstellung als Maler und Bildhauer ausgebildet zu werden, fand keine Unterstützung. Man wollte damals Handwerker ausbilden. Brüder, die aus der Mission in Korea, Venezuela, Afrika und Nordamerika kamen, gaben interessante Berichte und führten uns vor Augen, welchen Raum wir in klösterlichen Gemeinschaften einnehmen könnten. In Asien würden zum Beispiel die Darstellungen in Emailbildern als Geschenk des Himmels betrachtet. Damit zu wirken, sei besser als jede Predigt. Mit Pater ALVIN SCHMIDT stehe ich heute immer noch in Verbindung. In Korea gestaltete er über dreißig Kirchen als Maler und Architekt. Bruder Vitus baute eine große Druckerei auf. Nachwuchssorgen kennt man da nicht. Sie druckten jetzt ein sehr schönes Buch über ÑChristliche Kunst in Koreaì. Über die Kirchen und Kirchenmalereien von Pater POLYCARP in Afrika ist ein eindrucksvoller Bildband in Münsterschwarzach erschienen. Das Malen aber wurde im Kloster damals nicht erlaubt, wahrscheinlich wegen der dazu notwendigen umfassenden Anatomiestudien. Das hatte schon in der Zeit vor mir, so um 1926, Pater Alvin Schmidt, ein Schüler des Malers, Grafikers und Schriftstellers RICHARD SEEWALD in Köln erfahren müssen. Pater Wunibald als der künstlerische Leiter der noch im Aufbau befindlichen Werkstätten, hatte sich für mich auch den späteren Einsatz in Südkorea vorgestellt.




AUSBILDUNG UND GESELLENZEIT

Während ich zu meiner Ausbildung in eine kaufmännische Lehre geschickt wurde ñ Versand, Expedition, Buchhaltung, Herstellung und Drucken von Zeitschriften, Werbung ñ, lernte ich, mehr im Vorrübergehen, die Werkstätten der Klosterdruckerei, Buchbinderei, Schmiede, Bildhauerei, Faßmalerei und Schlosserei kennen.
Zuerst aber habe ich ein Jahr mit der Arbeit in der Landwirtschaft zugebracht, ein halbes Jahr länger als üblich, da sich meine Vorgesetzten nicht darüber klar werden konnten, was sie mit mir machen sollten. Sie hatten Bedenken, mich in den Kunstbereich zu stecken, warum weiß ich nicht. Vielleicht hatten sie Sorge, daß ich mit der ÑKörperlichkeitì zu sehr in Verbindung käme. Ich war ein ganz unbescholtenes Jüngelchen.
Als Anstreicher sollte ich mit Farbe umgehen lernen. Den ÑBerlinerì ñ nein, den wollte der Anstreicher-Bruder nicht haben.
Ich kam in die Schreinerei, wo ich ein Vierteljahr lang arbeitete. Erst wurde Holz getrocknet, im Sägewerk zugeschnitten und verleimt, was notwendig war, damit große Figuren nicht rissen. Bretter wurden getrocknet. Alles Holz, was im Kloster verarbeitet wurde, konnte gestapelt und vorgetrocknet oder in einem Trockenhaus untergebracht werden, wo sehr viel Wasser dem Holz entzogen wurde. Ich habe Bilderrahmen gefräst und hergestellt, Kisten verzahnt und verzapft, habe geholfen, Kirchenbänke herzustellen.
Von der Druckerei wurde ich manchmal aufgefordert, Holz-, Linol- und Scherenschnitte für die Titelseiten zu machen. Ich half beim Einbinden der Bücher, beim Vergolden und Polieren der Gebetbücher. Den Buchdruck lernte ich im Kloster bei der Herstellung eines Kalenders, der im Flachdruck produziert wurde, während die Zeitungen im Rotationsdruck mit der ÑHeidelberger-Druckmaschineì gemacht wurden. Ich wurde auch eingeführt in den Fotodruck auf Aluminiumfolie (später wurde auf Zelophanfolien gedruckt) und in den Steindruck. Dabei wird das Bild auf Stein gelegt, abgelichtet und geätzt.
Ich sah mir immer alles genau an. Man mußte damals mit der Hand das Blatt nehmen, einlegen, zusammenfalten zum Druck und mit der anderen Hand wieder wegnehmen, ein gefährliches Tun für die Hände an der rotierenden Maschine, was mich zu einer Erfindung anregte. Wir mußten jedes Jahr so zu hundert Brüdern in der Freizeit nach dem Essen die Kalender zusammenstellen. Zweiundfünfzig Blätter lagen auf den Tischen. Überall ein Stoß und man hatte zum Stapeln ein Dreieck aus Holz, um hintereinander von jedem Stoß ein Blatt einzulegen. Mit Bruder SEVERIN überlegte ich, ein Karussel zu bauen, in das die zweiundfünfzig Blätter ringsherum hineinpaßten. Wir nahmen eine ausgediente ÑHeidelbergerì, eine Druckmaschine, die die Blätter ansaugte und hinlegte, bauten einen kleinen Motor ein, der das Karussel drehte. Die Konstruktion erregte anfangs Aufsehen, paßte aber wegen der Größe leider nur in den Theatersaal. In der Berufsschule lehrte Bruder Waldemar, ein früherer Architekt aus Essen, Mathematik und Geografie. Wir sechzig Schüler der Klasse sollten den Inhalt einer Fläche verdoppeln auf rechnerische und zeichnerische Art nach einer bestimmten mathematischen Formel. Der Professor fand meine Lösung der Aufgabe ungewöhnlich. Er nahm meine Zeichnung mit nach Hause und erteilte mir am nächsten Tag eine Eins. Er fand die Art der Ausrechnung in keinem Lehrbuch.


BEURONER STIL

In der Klosterschule lernten wir im ÑBeuroner Stilì zu arbeiten, zu der Zeit die gesuchte Kunst in der Kirche, streng, symmetrisch. Adelmar hatte sie, als Geselle aus Beuron kommend, in der Goldschmiede eingeführt. Die Kirche in St. Ludwig war von den Beuroner Brüdern so ausgemalt worden.
Beuron ist Mutterkloster der Beuroner Kongregation mit theologischer Ordenshochschule. Die Beuroner Kunstschule wurde von Pater LENZ 1894 gegründet. Er strebte eine Erneuerung der kirchlichen Kunst an. Diese Kunstrichtung war eine Absage an den herrschenden Naturalismus, dem viele Künstler nachstrebten bis zum Ersten Weltkrieg, wo sie dann an Kraft verlor. Ich dachte, so was Kitschiges. Du malst richtig witzig schöne Heiligenbilder. Mein Urteil hat man mir sehr verübelt. Einige Klosterbrüder jedoch waren begeistert, und so wurden auch Scherenschnitte von mir in dem vom Kloster herausgegebenen Kalender verwendet.
In die Kunstwerkstätten des Klosters durfte ich, entgegen meinem sehnlichsten Wunsch, nicht zur Ausbildung. Ich mußte vielmehr den Kaufmannsberuf erlernen. Ich bekam keinen Lehrvertrag. Das Lehrlingsheim des Klosters war ein berufbezogenes Internat, um Brüderberufe heranzuziehen. Der Personalpräfekt schickte mich aber oft zum Bauzeichnen. Da konnte ich Zeichnungen und Lichtpausen von der Kirche anfertigen, die gerade gebaut wurde.
Einige Patres sorgten dafür, daß ich ein halbes Jahr doch in die Bildhauerei kam. So durfte ich an der Kanzel zwei Figuren aus Stein hauen und mit Bruder Bonifaz gleich hinter dem Eingang die erste von vier Figuren. Fast ein Jahr lang lernte ich bei Bruder LUKAS Faßmalen kennen, das ist das Vergolden und Versilbern von Figürchen, die Bemalung von Stein- und Holzskulpturen und das Kirchenmalen.
Die Türgriffe für die Kirche mußten in Bronze gegossen werden in der kleinen Gießerei, die gleichzeitig auch Schlosserei und Schmiede war. Der Schmelzofen stand in einem kleinen Raum. Auch habe ich etwas modelliert und gegossen, doch viel zu dick, es floß nicht aus. Altarleuchter brauchten wir für die ganze Kirche. Es waren auch kleine Kapellen einzurichten.


ALS POSTULANT UND NOVIZE

Nach zwei Jahren kaufmännischer Lehre wurde ich am 25. April 1937 Postulant, so heißt der Ordenskandidat während der Probezeit, und bekam ein anderes Ordenskleid. Bei der Zeremonie fragt der Abt: ÑWas wünschen Sie?ì und der Postulant anwortet: ÑDie Liebe Gottes, die Gemeinschaft der Brüder.ì Das ist ein vorgefertigtes Gebet. Das Postulat ist die erste Vorbereitungszeit eines Bewerbers zur Aufnahme in eine Klostergenossenschaft nach Ordensrecht.
Als Postulant setzte man mich zuerst in der Küche als Koch ein und das den ganzen Tag. Für dreihundert Leute Kochvorbereitungen treffen ñ gar nicht so einfach. Außerdem war ich als ÑBerliner Jungeì wirklich sehr schwach. Die große Kelle im Topf bekam ich nicht einmal Ñrumì. Es war eine schwierige Zeit, man wurde hingeschickt, wohin man nicht wollte.
Dann teilte mir Pater Wunibald mit: ÑWir haben uns entschlossen, Sie die Goldschmiedekunst erlernen zu lassen, einen Beruf, in dem Sie zu sorgfältigem Arbeiten angeleitet werden. Denn Sie sind etwas fusselig, ein ëHans Dampfí in allen Gassen.ì Aber ich wollte doch Maler werden und Bildhauer.




AUSBILDUNG ZUM GOLDSCHMIED
(11.7.1937ñ11.7.1940)

Ich kam in die Goldschmiede zu Bruder ADELMAR, einem Schreinermeister, der den ÑGesellen als Goldschmiedì in Beuron von 1930ñ34 erworben hatte und mein Vorgesetzter wurde. Er hatte seine Ewige Profeß, das sind die Ordensgelübde, 1934 abgelegt und 1937 die Goldschmiedewerkstatt eingerichtet, wo ich sein erster Lehrling wurde. Bruder Adelmar hat mich ziemlich schikaniert, mich monatelang kleinste präzise Winkel feilen lassen, wobei ich allerdings viel lernte. Sie mußten ausgraviert und emailliert werden. Durch Löten wurden kleine Stifte unter die Winkel angebracht, die wiederum in großer Anzahl auf einen Leuchter auffixiert wurden. Sein erster Leuchter, der vor dem Mutter-Gottesaltar steht, war noch eckig modelliert, die späteren Leuchter und Werke wurden runder. Bei Adelmar durfte ich nicht zeichnen, keine eigenen Entwürfe und Ideen einbringen, zu was es mich immer so drängte, denn er wollte den Ton angeben. Viel später merkte ich, daß er Werke von mir als die seinen ausgegeben hatte. Aber als ich an seinem Sterbebett stand, sagte er, ich sei der Beste von allen gewesen. Jedes Jahr schickte ich meiner Mutter die Zeichnung von einem Kreuzweg, einem Sonntagsevangelium oder einer Epistel.
Nach einjährigem Postulat wird man normalerweise für ein Jahr Novize, so heißt der Mönch während der Probezeit. Am 27. April 1938 wurde ich als Novize aufgenommen. Ich erhielt den Namen des heiligen Egino, der mein Patron wurde. Ich wurde einem neuen Oberen vorgeführt, dem Novizenmeister. In meinem Fall war es Pater Wunibald. Er hatte es übrigens verstanden, zwanzig Bildhauer mit seinen Kunstwerkstätten anzuziehen.


SILENTIUM, ZEIT DER STILLE

Ein Pult mit einer Klappe für zwei Mann in Reihen hintereinander, sechzig Leute im Saal und Silentium, vorne saß der Präfekt, las oder studierte wie wir. Bruder Severin stellte die Klappe seines Pultes hoch und reparierte dahinter Uhren. Wurde er entdeckt, schrie der Präfekt ihn an, mitten im Silentium. Aber wir hatten doch keinen Uhrmacher, und Bruder Severin war unser Spezialist. Wir in der Goldschmiede bekamen von Wohltätern gestiftete Uhren, Trachtenschmuck, Silber, Bestecke, getriebene Silberkannen. Die sollten wir einschmelzen. Auch echte gotische Kreuze tauchten da auf (aus denen Bruder Adelmar die Rubine und Smaragde herausdrückte und den Rest einschmolz). Wir entdeckten die tollsten Dinge aus den Nachlässen: Uhren, die eine Feder besaßen und über Zahnradketten mit einem Schlüssel aufgezogen werden konnten, Marmeladeneimer voll wertvollster Uhren. Sie trugen meistens innen Gravuren: Handarbeit, mit der die Goldschmiede ihre Kunst zeigten. Unser Hobby als Studenten war es, die Dinge aus Adelmars Zimmer zu holen und zu reparieren. Ich habe viel Schönes daraus gelernt.
Manchmal lief ich verzweifelt zum Abt, ich wolle doch kein Goldschmied werden, er möchte mich wieder zurücklassen in die Malerei. Mein Wunsch blieb aber völlig unbeachtet.
Einmal schleuderte Bruder Adelmar die Kiste mit den Edelsteinen durchs Fenster auf den darunterliegenden Erdhaufen. Einzeln habe ich sie sorgfältig wieder rausgelesen. Im Kloster war auch Bruder FLAVIAN, Maurermeister und hervorragender Graphiker. Um im Kloster frei arbeiten zu können, legte er keine Gelübde ab. Er hatte als Oblate nur das Versprechen gegeben, nicht wegzugehen, lebte freier, verfügte über eigenes Geld. Vom Klosterverwalter wurde er sehr gefördert, schrieb ganze Evangelienbücher auf Pergament und malte sie aus. Das war damals das Größte für mich. Wenn es die Zeit erlaubte, guckte ich zu. Er ließ mich malen, wir waren beide gute Freunde geworden. Als Oblate brauchte er am Chorgebet nicht teilzunehmen, in der Zeit malte er. Bruder MAURUS hat mich immer ermutigt: ÑEgino, was du tust, ist gut. Laß dich nicht irre machen. Ich würde nie so arbeiten, aber ich erkenne alle deine Arbeiten an.ì So ein kluges Gespräch habe ich nie bei einem anderen erfahren. Bei seinem späten Eintritt ins Kloster hatte der Abt ihm sogar gestattet, sein altes Empireschlafzimmer in die Zelle mitzubringen. Ihn zu besuchen, war nicht erlaubt. Aber ich bin als junger Bruder hineingeschlüpft, das Anatomiebuch unter dem Arm und habe meine Kunst und Entwürfe vorgelegt, um sie korrigieren zu lassen. Später durfte ich dem alten Bruder ab und zu Kaffee bringen und einen Moment Platz nehmen.
Wir sprachen über Kunst und Künstler und er vertrat den Standpunkt, daß es in der Kunst keine absolut gültigen Maßstäbe geben dürfe. Ich hatte ihn gefragt, wer der größte Künstler in der Geschichte sei. ÑDen gibt es nicht, den Gedanken mußt du vergessen. Jeder ist ein großer Künstler, jeder, der gut ist. Den größten Künstler gibt es nicht, DÜRER war ein großer Mann, MICHELANGELO, LEONARDO DA VINCI.ì Aber ich wollte nur wissen, was Kunst ist. Das könne er mir nicht sagen, Kunst ist alles, was gut ist. Was schlecht ist, kann man sagen, was gut ist, das ist ein Geheimnis. Solche Gespräche ereigneten sich immer wieder, ich war siebzehn und lernte viel.
Die Bildhauer BONIFAZ und ARNOLD, der im Krieg beide Hände fast ganz verloren hatte, haben mich gerne geholt, wenn es etwas zu helfen gab, wie etwa zum Leimen oder Naßhalten der Tonfiguren, da ich Kenntnisse aus der Schreinerei mitbrachte. Sie forderten mich auf, auch mal einen Christus zu modellieren. Dafür bezogen sie später einen schweren Rüffel von dem Vorsitzenden der Bildhauerei.
Bonifaz sollte Heiligenfiguren modellieren, hatte aber kein Modell. Ich zog meinen Habit aus, um ihm Modell zu stehen. In dem Moment erschien Pater Wunibald in der Werkstatt, knallte die Türe zu: ÑDas geht zu weit! Anziehen, hinknien, Segen, Buße, vom Boden essen!ì, was bedeutete, vor allen kniend vorne im Speisesaal vor dem Abt vom Stuhl das Essen einzunehmen. Ein heute undenkbares Verhalten. Alle schritten wie immer schweigend zum Essen. Der Abt aber konnte sich die entstehende Heiterkeit hinter mir im Raum nicht erklären, denn die Fratzen, die ich auf meine Schuhsohlen gemalt hatte, begannen beim Knien mit jeder kleinen Bewegung der Füße zu grinsen.
In Köln findet man schon im 11. Jahrhundert eine Verehrung vom Herzen Jesu erwähnt. Dazu haben wir heute wenig Beziehung. Aber wir sagen ja oft ÑDu bist mein Herzì. Und warum sollen wir das nicht auch zu Jesus sagen?
Weil ich der Kleinste war, mußte ich als Novize in der ersten Reihe vor einem riesigen Herz-Jesu-Gemälde von FEUERBACH beten: Jesus, der seinen mächtigen Mantel ausbreitet, aus dem Feuer sprüht.
Als Nolde-Fan dachte und malte ich doch so ganz anders. Daß ich da manchmal ausflippte oder bissige Bemerkungen fallen ließ, ist doch verständlich. In meiner Herz-Jesu-Darstellung heute stelle ich Christus als Keltertreter dar.
Ich hatte auch einmal eine Phase in der Klosterzeit, in der ich lebensmüde war. Ich sah in allem keinen Sinn mehr. Eine depressive Phase, ich empfand das alles als sehr belastend. Über sexuelle Probleme sprach man nicht. Sie waren tabuisiert. Die einzige Möglichkeit, damit fertig zu werden, war im Gebet, mit gutem Willen und mit Beichte. Unser Beichtvater sagte: ÑJunge, es gibt Feldherren, die schlagen Schlachten und machen Politik, das ist eine große Leistung, aber eine noch größere ist es, mit sich selber fertig zu werden. Und das geht ohne weiteres.ì


BRUDER LOTHAR

Wir in der Goldschmiede mußten öfter helfen, Waggons voll Koks auszuladen. Einer der Stärksten war ich nicht, und so bekam ich den Posten, den Koks im Keller weiterzuschieben, ein Posten, der nicht so schwer war. Bruder Severin, der Druckermeister, rief einmal: ÑKomm, Egino, jetzt wollen wir mal heizen, den Ofen anmachen.ì Wir hatten das Holz schon bereit gelegt ñ da sitzt Bruder Lothar im Ofen und betet.
Ja. Bruder Lothar, das war einer, den plagten immer sexuelle Versuchungen, gegen die er in vielfältiger Weise anging. So stand er einmal nachts auf und verschwand, und ich hörte ein tiefes Stöhnen. Zum Kartoffelkeller ging es bergab, Bruder Lothar ließ die ÑRiesenkarreì herunterrollen und schob sie voll mit Steinen beladen wieder hoch und fiel danach totmüde ins Bett. Der Abt erschien persönlich am Morgen an seinem Bett; auch er hatte gesehen, daß Lothar nachts wieder Steine geschoben hatte. ÑVon wegen nachts Steine schieben, jetzt gehts in die Kirche zum Beten.ì ABT BURKARD war ein Ulan aus dem Ersten Weltkrieg.
Nach der Aufhebung des Klosters durch die Nazis am 9. Mai 1941 hatten wir Verschiedenes in den Doppelmauern der Kirche versteckt, weil die SS da überall herumschnüffelte. Ich wollte meine restlichen Silberplatten noch verstauen, leuchtete mir nach dem Chorgebet den Weg mit der Taschenlampe in den Kohlenkeller, hinweg über Kohlenhaufen, in eine Nische. Auf einmal ist im Koks ein Kopf Ñdrinneì, ein loser Kopf. Ich hab einen Schrecken bekommen, habe an alles gedacht, aber nicht an einen losen Kopf, habe den Kopf wegschieben wollen, aber anständig so mit dem Fuß. Aufeinmal schrie es: ÑHilfe, ich bin es!ì Bruder Lothar hatte sich im Koks vergraben und übte Buße.
Lothar ist nach langem Siechtum am 5.1.1978 heiligmäßig gestorben. Ich erlebte seinen Tod nach jahrelanger Krankheit an seinem Sterbebett. Er hatte alles immer demütig hingenommen, ohne einen Ton des Schmerzes abzugeben.


ENDE MEINER LEHRZEIT IN WÜRZBURG
11.7.1940

Als Bruder Adelmar 1939 zu seiner Meisterprüfung zum Goldschmied nach München zu Professor SCHMIDT geschickt wurde, bevor man ihn zur Luftwaffe einzog, kam ich zur weiteren Ausbildung zu dem Goldschmiedemeister BEßLER nach Würzburg. Ich wurde untergebracht in einem der Säle des dortigen Benediktinerklosters unter dem Dach, wo wir mit dreißig bis vierzig Brüdern vom Balkon aus den herrlichsten Blick auf die Residenz und den Hofgarten hatten und gleich gegenüber Flötenkonzerte von Mozart hören konnten! Denkst du, wir hätten geschlafen? Wir schoben unsere Betten raus auf die Dachterrasse und haben liegend die Konzerte miterlebt.
Beßler war ein großartiger Goldschmied, er ließ mich entwerfen, fast den ganzen Tag. Ich durfte bei ihm Gravuren machen, Kelche entwerfen, Christusfiguren aus Kupfer und leeren Dosen treiben. Ich war völlig frei, meine Fähigkeiten auszuprobieren. Ich kostete ihn ja nichts. Alle paar Monate kam Bruder Adelmar aus München, um nachzusehen, was ich gelernt hatte, und sah meine Entwürfe. Unter Adelmar hatte ich ja nicht zeichnen dürfen, war auf den stillen Ort geflohen, um dort meine Scherenschnitte schnibbeln zu können.
Um vier Uhr hieß es ÑAufstehen!ì, aufs Käppele zum Gottesdienst. Das ist eine Wallfahrtskirche oben am Nikolausberg, übrigens eine so um 1750 von Balthasar Neumann erbaute Kirche. Die Meister aber blieben zum Frühschoppen unten. Als wir wieder runterkamen, waren sie Ñblauì, und wir mußten in der Werkstatt arbeiten.
Morgens zog einer von uns Lehrlingen zum Bürgerbräu und füllte Tropfbier in zwei Krüge ab. Dieses Bier wurde auf den Ofen gestellt ñ offiziell hieß es, zum Polieren. Man braucht aber dafür nur sehr wenig. Die Lehrlinge und Gesellen tranken allmählich die beiden Krüge aus.


DIE LAURETANISCHE LITANEI

Das ist eine erstmals 1531 in Loreto bezeugte Litanei aus Ehrentiteln Mariens, zum Beispiel: ÑDu Pforte des Himmels, du Morgenstern, du Turm Davids ..., bitte für uns.ì
Bei der Arbeit wurde als erstes die lauretanische Litanei gebetet, obwohl das eine weltliche Werkstatt war. Zum Metalldrücken gab es keine richtige Maschine, sondern so etwas ähnliches wie eine Nähmaschine, deren Pedale man treten mußte. Wenn der Meister nicht mehr treten konnte, mußten zwei Lehrlinge, einer links und einer rechts, einspringen. Kam ein Kunde, rief einer: ÑKunde kommt!ì Die Meister merkten sich aber genau, wo wir bei der Litanei aufgehört hatten, und da wurde wieder eingesetzt.


QUECKSILBER AUS DER REGENRINNE

Auf der Marienburg in Würzburg habe ich mit Meister Beßler an dem ÑHeiligen Kilianì, das war ein Wanderbischof aus Irland, der im 7. Jahrhundert als Märtyrer starb, und auch an der ÑMutter Gottesì gearbeitet. Die riesigen Figuren, vier Meter hoch, man sieht sie schon von weitem, mußten feuervergoldet werden. Wir Lehrlinge stellten uns in die Figur und machten sie mit Feuer heiß. Von außen wurde sie mit Quecksilber, das mit Gold zu einem Amalgam angerührt war, eingeschmiert. Wenn sie von außen ganz laut riefen: ÑEs dampft!ì ñ mußten wir die Luft anhalten, damit wir das weiß verdampfende Quecksilber nicht einatmeten. Bei dem Ruf: ÑIst gut!ì ñ war der Dampf verzischt, und die Figur wurde von neuem erhitzt. Der Meister sagte, wir bräuchten keine Angst vor dem giftigen Quecksilber zu haben, sie alle seien schon über achtzig. Wir haben alle Kelche über einem Feuer unter einer Dachrinne feuervergoldet. Durch den Sog, der entstand, zog der Qualm hoch über der Dachrinne ab. Alle paar Wochen wurde die Dachrinne ausgekehrt und das gesamte Quecksilber, das sich da niedergeschlagen hatte, aufgesammelt. Dabei hat man heute so eine Angst vor Quecksilber. Auf dem Hof stand ein großer Topf mit Zyankali zum allgemeinen Vergolden.
Zum Zeichenunterricht wurde ich zu RICHARDT ROTHER aus Kitzingen geschickt. Doch später durfte ich nicht mehr zu ihm hin, weil er sich als verheirateter Mann eine Freundin zugelegt hatte. Er ist später regelrecht verhungert. Heute findet man in vielen fränkischen Gaststuben seine Originale, mit denen er seine Weinrechnungen bezahlte. Seine Bilder, oft Holzschnitte, die Weihnachten, Engel oder Weintrinker zum Thema hatten, sind heute sehr gefragt. In Würzburg machte ich auch Bekanntschaft mit den Arbeiten von den Gebrüdern SCHIESTL und Professor BURKARDT.


MEIN GESELLENSTÜCK: EINE CHORMANTELSCHLIEßE
1940

Mein Gesellenstück habe ich mit einer besonderen Technik hergestellt, und ich wüßte nicht, daß es irgendwo eine Beschreibung dieser Technik gibt. Ich habe auf Messing- oder Kupferplatten das Silber aufgelötet und in eine Brosche, genauer gesagt, eine Chormantelschließe, eingearbeitet, sie danach in verdünnte Schwefelsäure gelegt, die das Kupfer auffraß und das Silber stehen ließ. Als junger Mensch möchte man ja immer etwas machen, was die anderen nicht können. Außerdem machte ich eine Kupferdose, eine grüne Dose mit drei hohlgetriebenen Füßen und einer Kugel oben drauf an einem Tag. Meine Gesellenprüfung bestand ich am 11. Juli 1940 mit Auszeichnung. Danach ging ich von Würzburg nach Münsterschwarzach zurück.
Ich habe zwei Chormantelschließen gemacht, eine war mein Gesellenstück, die wird heute noch in der Kirche benutzt. Viel wertvoller aber ist die, die ich später bei Frau Professor TRESKOW an der Werkkunstschule in Köln arbeitete, eine besondere Chormantelschließe, die die Klosterleute gar nicht zu schätzen wissen. Sie stellt die Verkündigung dar ñ Maria und der Engel mit der Frohen Botschaft ñ in Granulationen auf einer Silberplatte.


WIEDER IM KLOSTER MÜNSTERSCHWARZACH

Abt Burkardt war erstaunt, als er von meiner Gesellenprüfung erfuhr: ÑWas wollen Sie denn, heulen immer Rotz und Wasser bei mir und kommen mit so guten Noten, seien Sie mal ganz schön zufrieden. Sie sind ein tüchtiger Mann, Sie kommen wieder in die Goldschmiede.ì ÑSchicken Sie mich, wohin Sie wollen, aber nicht mehr in die Goldschmiedeì, antwortete ich ihm. ÑGut, wenn Sie das wollen, dann werden Sie Refektoriumswart.ì Das bedeutete: Putzen, Tischdecken und vieles mehr, vor allem aber Orgelspielen. Ja, das wollte ich sofort machen. Ich führte meinen neuen Posten aus. Doch dann kam der Abt und meinte, er brauche sechs Kelche für die Mission, die schnell gemacht werden müßten. Adelmar war beim Militär und so hatte ich die Möglichkeit, endlich selber zu entwerfen, alleine zu arbeiten. Jeden Kelch, dessen Form Adelmar nur maschinell gedrückt hatte, trieb ich einzeln mit der Hand, gravierte, emaillierte ñ der Abt war begeistert.
Mein erstes Werk im Kloster, ein Weihwasserbecken, das ÑDie Rückkehr des Herrnì zum Thema hat, habe ich nie fertig gestellt, aber trotzdem auf Ausstellungen und Wettbewerben Auszeichnungen damit gewonnen. Es steht jetzt in meinem Ausstellungsraum in Königsdorf bei Köln.


AUFLÖSUNG DES KLOSTERS DURCH DIE NAZIS
9. Mai 1941

Der Krieg machte auch vor den Klosterpforten nicht halt. Nachdem ich vierzehn Tage zur Luftwaffe eingezogen worden war, wurde ich Ñnach Hauseì, also ins Kloster, zurückgeschickt. Ich hatte wieder einmal eine furchtbare Stirnhöhlenvereiterung. Während einer Kur in St. Ludwig, einem Kloster bei Volkach, versuchte man mich mit Schwefeldämpfen zu kurieren. In den vierzehn Tagen malte ich viel, mußte aber immer wieder zur Behandlung zu DR. ÖDINGER nach Würzburg radeln.
Eines Tages kamen die Nazis, Vater Abt Burkard wurde nach Würzburg gebeten, anschließend in das Gefängnis auf der Ottostrasse und später in das Kloster der Zeller Schwestern gebracht mit strengen Auflagen. Seine Schwester Philomena war da Novizenmeisterin. Er hatte Order, das Kloster nicht zu verlassen. Die Patres wurden mit wenigen Ausnahmen auf Laster verfrachtet und in ein Franziskaner-Kloster auf dem Kreuzberg in der Rhön verschleppt, wo viele von ihnen zum Militär eingezogen wurden. Das alles kam so:
Der Abt saß verzweifelt in seinem Zimmer während der Verhandlungen, alles wurde abgesperrt von der SA und SS. Er war im Grunde Eigentümer des Klosters und hatte einen Besitzanspruch. Die Nazis verurteilten ihn wegen persönlicher Bereicherung auf Kosten des Volksvermögens durch Betteln. Sie bettelten ja für die Mission und hatten auch von solchem Geld Kirchen erbaut. Die Bauern der Umgebung protestierten. Sie strömten in großen Scharen aus der Umgebung herbei und leisteten Widerstand. Frauen warfen ihre Mütterorden vor die Füße der Gestapo in den Dreck und Männer ihre Kriegsauszeichnungen. (Über die Aufhebung der Abtei schrieb Pater Jonathan Düring 1997 zwei Bände mit dem Titel: ÑWir weichen nur der Gewalt.ì) Ich stürzte rauf zum Abt und sagte, ich müßte ins Krankenhaus, ich würde es vor Kopfschmerzen nicht mehr aushalten. Neben dem Abt saß ein Polizist und ein Nazi, DR. DENGEL, der das Kloster als Verwalter übernehmen sollte, sie schickten mich weg, doch da rief der Abt: ÑSagen Sie dem Doktor Ödinger ñ ÑEs wäre Zeit!ì (ein Code-Wort). Ich dachte, was soll denn das, nahm mein Fahrrad und fuhr nach Würzburg zu Dr. Ödinger, der gleichzeitig als oberster Sanitätsoffizier verantwortlich für die beschlagnahmten Klöster, Krankenhäuser und Lazarette war. ÑIch soll Ihnen vom Abt bestellen, es wäre Zeit.ì Er konnte das nicht glauben. Kurze Zeit später war das Kloster von den Nazis befreit und statt dessen als Lazarett vom Militär beschlagnahmt. Ein furchtbarer Streit zwischen Militär und Nazis entbrannte, aber der Nazi Dr. Dengel verstand es, als Verwalter zu bleiben und Pater Theophil als Cellerar, also als Wirtschaftsverwalter.
Der Rest der alten und kranken Priester und Brüder hatte, was die SS und SA nicht wußten, sofort die Kirche besetzt. Man wollte uns zwingen, die Kutte auszuziehen. Vergeblich! Heimlich wurde das Chorgebet von den wenigen, die bleiben konnten, in der Kirche hinter verschlossenen Türen den ganzen Krieg über weitergeführt, endlich auf deutsch, nicht wie vorher in Latein. Das war ja etwas, was ich auch immer kritisiert hatte, denn wir waren als Laien damals beim Chorgebet von den Priestermönchen räumlich getrennt worden und hatten auch keine Möglichkeit, durch Studium aufzusteigen, vielleicht nur die Missio zu erwerben.
Dr. Dengel konnte sich gegen das Militär nicht in allem durchsetzen. Dadurch konnten wir Brüder dableiben. Wir wurden Angestellte des Lazaretts, wurden zum Dienst verpflichtet als Sanitäter, für die Landwirtschaft ... Hatte ein Bruder Heimaturlaub vom Militärdienst, verbrachte er den natürlich im Kloster-Lazarett mit seinen Klosterbrüdern. Bei dreihundert Mann, da war immer was los. Ein Pater war eingesetzt für die Betreuung, Pater THEOPHIL. Er hielt beeindruckende Vorlesungen und Exerzitien. Jeden Tag wurde gebetet, jeden Tag die Heilige Messe gehalten, und das alles war wie früher.


GRÜß GOTT ñ HEIL HITLER

Ich wurde vom Cellerar, Pater Theophil, zur Arbeit in den großen Hühnerstall versetzt. Auf dem Weg von der Goldschmiede zum Hühnerstall traf ich Dr. Dengel, den ich mit ÑGrüß Gottì grüßte. ÑDas heißt jetzt ëHeil Hitleríì, verbesserte er mich. ÑNein, bei uns heißt es immer noch ëGrüß Gottí.ì ÑSo, wie heißen Sie? Sie werden ab jetzt immer mit ëHeil Hitlerí grüßen. Sie kommen sofort zu mir in die Verwaltung!ì Und zu Pater Theophil gewandt: ÑDieser Bruder hat ab sofort mit ëHeil Hitlerí zu grüßen.ì ÑDas müssen Sie dem Bruder schon selbst überlassen, bei uns ist das ëGrüß Gottí üblich.ì ÑWo kommen Sie denn überhaupt her? Ach so! Eine Berliner Schnauze!ì Er hat mich fertig gemacht, eine halbe Stunde lang, und wollte mich zwingen, mit ÑHeil Hitlerì zu grüßen. ÑWenn Sie das nicht sofort befolgen ñ Sie haben eine Bedenkzeit bis vier Uhr ñ kommen Sie ins Gefängnis.ì Bei den Hühnern vergaß ich alles Ungemach.


IM GEFÄNGNIS IN WÜRZBURG
1941

Aber um vier Uhr wurde ich in die Verwaltung gerufen. ÑSie kommen ins Gefängnis, die grüne Minna steht schon draußen bereit. Packen Sie Ihre Sachen!ì Ich holte die Heilige Schrift, die Klosterregel, mein Anatomiebuch und den Rasierapparat. Auf dem Weg ins Gefängnis auf der Ottostraße in Würzburg wurde mir schlecht, oben auf dem Berg mußte das Auto gereinigt werden.
In der Zelle wurden nur die Hosenträger entfernt. Jeden Tag mußten wir auf dem Hof eine Stunde spazieren gehen. Ich, in meiner Kutte, begegnete noch einem Bruder, dem Bruder HERMANN, der mich kaufmännisch ausgebildet hatte.Wir haben uns ab und zu zugewinkt. Ich erfuhr, daß Pater SALES in das Konzentrationslager nach Dachau abgeführt wurde, wo er den ganzen Krieg über blieb. Ich sollte auch dahin, aber weil ich Jugendlicher war und der Abt sich zwischenzeitlich durch Mittelsleute für mich eingesetzt hatte, wurde ich nach einiger Zeit entlassen. Ich weiß heute nicht mehr, wie lange ich im Gefängnis zugebracht habe. Einmal wurde ich auf die Krankenabteilung verlegt, denn mit den Stirnhöhlen war es wieder sehr schlimm geworden. Eines Tages kam mein Vater in Parteiuniform mit seinem Holzbein ins Gefängnis gehumpelt, geschmückt mit seinem Eisernen Kreuz und all seinen Abzeichen aus dem Ersten Weltkrieg. Ich mußte ins Sprechzimmer kommen. Er forderte mich auf, aus der Kirche auszutreten, dann würde ich sofort entlassen. So weit waren die.
Da war noch ein anderer Gefangener, ein Metzgergeselle aus Dettelbach. Später habe ich von anderen erfahren, daß er Ñschwarzì geschlachtet hatte. Deshalb saß der im Gefängnis. Wir haben zuammen Körbe geflochten, wurden nach der Arbeitszeit aber immer getrennt. In der Zelle alleingelassen war es oft furchtbar. Polen, die sich mit einem deutschen Mädchen eingelassen hatten, wurden wegen ÑBlutschandeì erschossen. Die Schüsse hallten bis in die Zelle.
Einmal am Tag mußten wir eine Stunde im Kreis spazieren gehen. Da war einer, der bewegte sich, wenn ich an ihm vorbeikam, ganz verrückt. Ich dachte: Das ist einer, der spinnt. Zurück in meiner Zelle, alles war verriegelt, ging jemand draußen vorbei und strich immer wieder an meine Zellentür. Der muß irgendwie durch alle Gitter gekommen sein, dachte ich. Er rief: ÑBenedicite, Bruderì ñ das war unser Klostergruß. Ich antwortete nicht, weil ich dachte, er wolle mich aushorchen: ÑWas ist denn da draußen los?ì Mit tränenerstickter Stimme antwortete er mir: ÑNa, gib doch eine Antwort, ëBenediciteí.ì Da sagte ich: ÑDeus.ì
ÑGott sei Dank, du bist es, Egino! Ich hab deine Papiere gesehen, du wirst entlassen. Wenn du rauskommst, geh zum Bischof (ich weiß den Namen heute nicht mehr) und sag, ich würde morgen erschossen. Es wird heißen, ich wurde auf der Flucht erschossen, aber das stimmt nicht. Ich war in der katholischen Jugend in Mainz und bin seit zehn Jahren im Gefängnis.ì Ich fragte ihn: ÑWie bist du denn da überall durch und an meine Tür gekommen?ì ÑTja, wenn du solange im Gefängnis bist wie ich, kennst du so viele Tricks. Aber gehe zum Bischof und sagí meiner Mutter einen schönen Gruß.ì Am nächsten Tag hörte ich die Schüsse auf dem Hof.


ROSA PAPIERE

Nach zwölf Wochen wurde ich tatsächlich ohne Prozeß entlassen. In der Verhandlung ñ das Gremium bestand aus fünf oder sechs Mann ñ wurde mir Zersetzung der Wehrkraft und Vorbereitung zum Hochverrat zum Vorwurf gemacht. Ich mußte nur unterschreiben, daß ich keine Ansprüche stellen würde. Man hatte dem Abt zugesagt, daß nichts in meinen Papieren erscheinen würde. Beim Militär fand ich doch ÑRosa Papiereì vor: ÑPolitisch unzuverlässigì, in denen das alles aufgeführt war. Solche Papiere wurden auch homosexuellen Männern ausgestellt. Wenn später beim Militär irgendetwas los war, habí ich immer gesessen als Ñpolitisch unzuverlässigì.
Ich suchte gleich den Bischof auf. Doch der sagte: ÑJunge, das weiß ich doch schon alles. Zur Mutter brauchst du nicht mehr, die ist informiert. Gehí zu deinem Abt zurück, wir wollen nicht weiter darüber reden.ì


VERSTECKT VOR DEN NAZIS
BEIM FÜRSTEN VON THURN UND TAXIS

Ich hatte einen ziemlichen Nervenzusammenbruch und wurde vom Abt nach Wangen geschickt, zum FÜRSTEN VON THURN UND TAXIS, der einige Leute versteckte, wo ich mit anderen gefährdeten Personen ein Vierteljahr verbrachte. Auch Pfarrer DAMBACH von der Mechternkirche in Köln zählte zu den versteckten Leuten. Er war zur gleichen Zeit im Gefängnis. Auch für ihn bestand Gefahr, noch einmal verhaftet und Ñzum Schutz des deutschen Volkesì nach Dachau geschickt zu werden. Wir stießen da auch auf den Reichskanzler MARX, der verschwinden mußte, ein katholischer Mann aus Bonn. Der Fürst lud uns einige Male zu sich nach Schwangau ein, wo ich orgeln durfte. Auch viel später war ich öfter noch sein Gast. Um mich zu erholen, stieg ich viel in die Berge.
Pfarrer Dambach sagte mir, wenn du später einmal nach Köln kommst, besuche mich in der Mechternkirche, die PETER HECKER ausgemalt hat. Der Pfarrer schenkte mir ein Buch über diese Kirche mit einer liebevollen Widmung. Auf der ersten Seite stehen Notizen über den Wettbewerb, der zur Ausmalung der Kirche ausgeschrieben wurde. Aufgrund dieses Wettbewerbs hat Emil Nolde religiöse Bilder gemalt. Hecker bekam den Auftrag, weil Nolde kein Ñfleißigerì Kirchenbesucher war. In seinem Haus in Seebühl sind die religiösen Bilder noch zu sehen. Nach dem Aufenthalt im Versteck konnte ich wieder im Kloster auftauchen.


ZURÜCK IM KLOSTER

Wegen der immer wieder auftretenden Stirnhöhlenvereiterungen war ich 1939 nur kurz zu einer Luftnachrichteneinheit eingezogen worden. Ich war immer noch seit dem 4. Mai 1939 Professe, was bedeutet ÑAngliederung an die Gemeinschaftì, ñ aber frei und nicht gebunden wegen der anstehenden Militärzeit. Als ich am 1. Dezember 1941 zum Militär, zur Marine, kam, fühlte ich mich auch während des Krieges ganz als Mönch. Nach dem kirchlichen Recht dürfen in unsicheren Zeiten keine ewigen Gelübde abgelegt werden. Die zeitliche Profeß, ein Gelübde, das ich am 4.5.1939 abgelegt hatte, konnte nur verlängert werden.

MILITÄRZEIT
(1941ñ1945)

Nach der dreimonatigen militärischen Grundausbildung bei einer Marineeinheit in Leer (Ostfriesland) seit dem 1.12.1941, wo ich meinen späteren Freund und evangelischen Pfarrer HEINER SPECKMANN und den Glockengießer SCHILLING kennenlernte, wurde ich 1942 zur Schulung in der Verwaltungslaufbahn, Besoldung, Schriftverkehr, Ernährungswissenschaft Schiffserkennungsdienst, auf ein Schiff in Wilhelmshaven kommandiert. Den langen Märschen und Übungen in der Grundausbildung war ich wegen meines Herzfehlers und meiner chronischen Stirnhöhlenbeschwerden nicht gewachsen. Auf dem Schiff wurde ich dann in der Truppenbetreuung eingesetzt, wo es zu meiner Aufgabe gehörte, Literatur und Lehrmaterial zu beschaffen und für die ÑUnterhaltungì zu sorgen. Auch der Maler BLUNK aus Kiel, Fotograf und Graphiker, und Maler HOFMANN aus Regensburg waren zur Truppenbetreuung eingeteilt. Wir malten zusammen Kasernen aus mit Schiffen, Wikingern, Römern und trinkenden Bauern. Am Eingang einer Kaserne, einer früheren Arbeitsdienstunterkunft, über der geschrieben stand: ÑArbeit macht freiì, modellierte ich in der Art von ARNO BREKER Wachsoldaten aus Ton und dann Mergel (Marmorsplitter). Wir illustrierten die Marinezeitung und organisierten Theaterstücke und Feiern. Dabei schafften wir es auch, MARLENE DIETRICH zu einem Gesangsauftritt einzuladen. Jeden Sonntag feierten wir in St. Marien einen Choralgottesdienst, denn es waren sechs oder sieben Benediktiner in der Gruppe. Auch betreute ich eine Gruppe in St. Wilhard bei Pfarrer ZUMBERGE, für dessen Pfarrprozession ich in den Abendstunden Bilder zur Ausschmückung der Altäre malte.
Vor Weihnachten saß ich bei Brot und Wasser vierzehn Tage Ñim Knastì mit Zeichenbrett, Anatomiebuch und Bibel. Ich war vom Militärgericht verurteilt worden wegen Zersetzung der Wehrkraft. Ich mußte mich auf das Schlimmste gefaßt machen. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte die Mannschaft, wie ich meinte mit Erlaubnis, zur Messe geführt anstatt zur Schiffsreinigung, die angesetzt und von mir auch anschließend vorgesehen war. Außerdem hätte ich behauptet, an erster Stelle stände der Papst und nicht der Führer und ich würde ernstlich verbreiten, Maria hätte ein Kind ohne Zutun eines Mannes zur Welt gebracht. Außerdem belasteten mich meine sogenannten ÑRosa Papiereì nach dem Gefängnisaufenthalt in Würzburg. In der Verhandlung kam ich nur deshalb frei, weil einer vorbrachte: ÑKünstler spinnen alleì, was mich wahnsinnig ärgerte.
Danach schickte mich der Standortkommandeur Corvettenkapitän LEU, der mir gewogen gewesen war, und dafür gesorgt hatte, daß die Vorladung zum Kriegsgericht umgewandelt worden war in eine Arreststrafe, mit einem Augenzwinkern nach Münsterschwarzach, um ÑMaterial für die Truppenbetreuungì zu besorgen. Im Zug saßen Soldaten, die sich brüsteten, in einer Kirche Frauen vergewaltigt zu haben. Nach dem Krieg betrat Leu meine Werkstatt und bat mich um den ÑPersilscheinì, d.h. eine Bescheinigung, daß er kein Nazi gewesen war. Ein guter Briefkontakt blieb lange bestehen.
Es folgte die Verlegung in die Nähe von Bremen, nach Zeven, wo ich die Truppenbetreuung sogar für das ganze Lager zu bewältigen hatte, für die mir ein eigenes Zimmer zur Verfügung stand. Ich mußte eine Lagerzeitung herausgeben und Theater und Musikabende organisieren. Pfarrer BODENBURG lernte ich hier kennen, er hielt in Zeven die Messe.


DAS MEISTERSTÜCK ñ ARMBAND MIT AMETHYSTEN
1943

Meine Meisterprüfung zum Gold- und Silberschmied konnte ich während des Krieges in Bremen ablegen, wo der Unterricht in einem Bunker erteilt wurde. Eine Aktentasche mit Werkzeug gehörte immer zu meinem Gepäck. In meine Tasche paßte feinsäuberlich alles, auch Dinge zum Löten und Schmelzen (Silberschmelzen) und ein Beutel mit Edelsteinen. Ein Fahrrad tat mir gute Dienste, um mich in meiner Freizeit bei einem Goldschmied auf meine Meisterprüfung vorbereiten zu können. Mein Meisterstück, ein gegliedertes Emailarmband mit Amethysten, habe ich in der von mir ausgeknobelten Technik ausgeführt, was die Meister vom Stuhl riß, weil keiner sich diese Technik vorstellen konnte. Offiziell durfte ich erst mit vierundzwanzig Jahren, also ab 13. September 1944, den Meistertitel tragen.


BEGEGNUNG MIT DEM MALER EWALD JORZIG

Hier lernte ich den Maler EWALD JORZIG, einen Juden, kennen. Er hatte als Clochard in Paris gelebt, sich an den Reichsjugendführer BALDUR VON SCHIERACH gewandt, der ihn nach Holland holte, von wo er auf Umwegen schließlich nach Zeven gelangte.
Durch ihn lernte ich neue Probleme der Kunst kennen, lernte eine andere Maltechnik und vieles mehr. Ich hatte immer fein säuberlich gemalt, er aber nahm meinen Malkasten, legte ihn auf die Straße und fuhr mit einem Borstenpinsel in den Farben herum. Tolle Bilder hat er auf der Straße entworfen.
Bei den Fallschirmjägern in Neumünster war ich als Funker eingesetzt und kam anschließend zu einer Luftnachrichteneinheit nach Heidenau.
Als wir mit der Luftnachrichteneinheit in der Nähe von Heidenau lagen, malte ich die schöne Kirche eines ehemaligen Benediktinerinnenklosters. Das Kloster war 1850 geschlossen worden, als die letzten Nonnen starben. Sie hatten unter evangelischer Leitung katholisch bleiben dürfen.
Jorzig und ich malten beide ein Mädchen. Eine Reihe der Bilder sind in ihrem Besitz. Wir hatten sie eingetauscht gegen Essen. Der Vater des Mädchens war Kunstschmied. So hatte ich Gelegenheit, Schmuck und Leuchter für Offiziere zu fertigen.
Im weiteren Verlauf des Krieges, nach einigen Einsätzen auf See, wurde ich in Italien und Afrika eingesetzt. Auf der Rückfahrt von Tobruk, einem Naturhafen in der Bucht der Marmarika, traf den Öltanker, auf den ich zum Dienst mit zwei anderen eingeteilt worden war, und der etwa zwanzig leicht Verwundete an Bord hatte, ein Geschoß, fünf Kilometer vor der Einfahrt in den Hafen von Spezia. Der Torpedo, sichtbar an seinem Schaumstreifen, den er hinterließ, wahrscheinlich abgefeuert von einem englischen U-Boot, kam auf uns zu. Wir waren, voraus fahrend, eingesetzt worden zum Geleitschutz eines Lazarettschiffs aus dem Rommelfeldzug. Ein Todeskommando. Während der ganzen Fahrt hatte ich eine Schwimmweste getragen, denn ich konnte nicht schwimmen. Ins Wasser gesprungen, hielt ich unter dem einen Arm einen Stuhl, unter dem anderen einen Volksempfänger, denn ich stand unter Schock. Ich konnte mich von dem sinkenden Schiff retten. Die See brannte. Man tauchte immer wieder unter. Die Flammen waren nur oben heiß. Die Verwundeten mit den Schwimmwesten wurden zuerst aus der flammenden See auf das Lazarettschiff mit dem Roten Kreuz gezogen, das wahrhaftig unbehelligt von den Engländern in den Hafen einfahren durfte. Später erfuhren wir, daß der englische General ein Bewunderer und Freund von Rommel gewesen war.


ERFAHRUNGEN MIT DER PALA DíORO IN VENEDIG

Pala díOro, die goldene Altartafel in San Marco, wurde 976 von dem Dogen Pietro Orseolo in Byzanz in Auftrag gegeben, mehrmals restauriert und von Venezianischen Künstlern erweitert (jetzige Form seit 1345). Sie besteht aus Emailplatten und Emailmedaillons ñ im Zellenschmelzverfahren hergestellt. Sie ist mit Edelsteinen und Perlen besetzt. Dargestellt sind u.a. der thronende Christus, Maria orans, Apostel und Engel, Szenen aus dem Leben Jesu und der Markuslegende, sowie der byzantinische Festtagszyklus. Als Pala díOro wird auch das Aachener Antependium im Aachener Münster (um 1020) bezeichnet. Antependium bedeutet Vorhang, eine Verkleidung des Altarunterbaus aus kostbarem Stoff oder einer Vorsatztafel aus Edelmetall oder geschnitztem Holz.
Man suchte beim Militär deutsche Goldschmiede aus Angst vor unzuverlässigen italienischen Landsleuten, um die Restaurierung der Pala díOro in Venedig zu beaufsichtigen und durchzuführen. So kam ich zum Goldschmieden und Emaillieren in den Markusdom.
Pala díOro ñ der goldene Altar im Dom. Es gibt mehrere dieser Altäre in Italien. Auch für den Hochaltar in Aachen ist reines Gold verwendet worden. Bei dieser Arbeit in San Marco lernte ich viel über die alte Emailtechnik. Das, was ich hier vorfand, ist byzantinisches Emaille. In einem Buch hatte ich gelesen: Man hat eine goldene Platte genommen und die Konturen in die Platte einziseliert, so daß eine Vertiefung entstand, in die man Drähte einlegte und anschließend einbrannte. Das stimmt aber nicht. Das ist so nicht durchzuführen. Es würde reißen und viel zu viel Arbeit machen. Ich dachte mir, die Alten haben sich nicht gequält, sie müssen nach einer anderen Technik verfahren haben. Ich sah in Venedig die Goldplatten mit Emaille und dachte, du nimmst am besten eine auseinander, und so erkannte ich, daß es sich um zwei Platten handelte, eine war ausgesägt, eine andere darunter gelegt. Ich hatte gelesen, daß auf chemischem Wege mit Kupfersalzen eine Verbindung hergestellt werden konnte. Zinklot gab es erst später seit dem 18. Jahrhundert aus China. Das bei der Pala díOro verwendete Gold mußte aber hochkarätig sein, damit es einen hohen Schmelzpunkt aushielt. Hier mußte Kupfersalz hineingestreut worden sein, denn da, wo Kupfer und Gold zusammenkommen, senkt sich der Schmelzpunkt um 200 Grad und die Metalle verschmelzen. Der Untergrund mußte noch kupferhaltig gewesen sein. Die darauf gelegten Feingolddrähte waren wieder erhitzt worden und so ohne Lot geschmolzen. So einfach war die alte Technik.
Als ich nach dem Krieg wieder im Kloster war, wollte ich mit dieser wiederentdeckten Technik experimentieren. Ich hatte nur Silber zur Verfügung, kein Gold. Als Meister Adelmar zu Weihnachten als Küster fern der Werkstatt eingesetzt wurde, begab ich mich heimlich an die Arbeit. Ich hatte die Technik mit dem Silber zum ersten Mal ausprobiert, denn ich kenne nicht eine einzige Granulation in Silber, die in Büchern beschrieben ist.
Granulation ist in der Goldschmiedekunst eine dem Filigran verwandte Technik, bei der Schmucksachen durch aufgelötete Gold- und Silberkügelchen verziert werden. Frühe Zeugnisse der Technik aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. fanden sich in Troja, Kreta, Ägypten ...


VOM SCORPION GEBISSEN

1943, während eines Einsatzes in La Spezia an der Westküste Italiens auf der Insel Marmotza wurde mir aufgetragen, die schweren Geschütze auf die italienische Gradzahl Milesimi umzurechnen und einzustellen. Eines Nachts fing ich einen Skorpion in einer Dose und verstaute sie in meiner Hängematte. Das Tier entschlüpfte und biß zu. Alle standen vor einem Rätsel. Keinem konnte ich meine plötzliche Erkrankung erklären, da ich dazu unfähig geworden war. Ein Vierteljahr verbrachte ich in einer ÑKlapsmühleì, weil ich einem ÑRechenwahnì verfallen war. Danach stellte sich eine schwere Gelbsucht ein, die in einem Lazarett in Arco am Gardasee auskuriert werden mußte. Das war zu der Zeit als Mussolini, der Duce, gerade von den deutschen Fallschirmjägern (unter dem Kommando von Skorzenny) in einem Putsch im September 1943 aus der Haft auf dem Campo Imperatore befreit worden war.
Nach meiner Genesung wurde ich als Funker 1944 bei den Fallschirmjägern in Neumünster eingesetzt, danach in einem Ersatzbatallion in Heidenau wieder zur Luftnachricht.


TOD DURCH ERSCHIEßEN

Anfang des Jahres 1945, ungefähr vier Monate vor Kriegsende in Heidenau, sollte ein Theologiestudent aus Elsaß-Lothringen zur SS. Er war abgehauen und hatte sich auf einem Bauernhof in der weiteren Umgebung versteckt. Eine Tochter der Bäuerin sorgte heimlich für ihn und beide Ñbrannten durchì. Da sie nichts zu essen fanden, klauten sie Lebensmittel und wurden eines Tages entdeckt. Auf Diebstahl von Lebensmitteln und Feldpostpäckchen stand im Krieg die Todesstrafe.
Er sollte standrechtlich, das ist die Erschießung nach einem Schnellverfahren, erschossen werden. Es wurde ausgerufen, wer sich feiwillig für das Erschießungskommando melden würde. Niemand. Da hieß es, den ÑEiersackì, den Klosterbruder holen wir uns. Ich wurde hinkommandiert, ihn zu erschießen. Zuerst sollte ich ihm die Schnur um den Hals binden und die Schlinge durch das Loch im Pfahl ziehen. Mein Zittern machte das unmöglich. Der Offizier, der die Erschießung leitete, übernahm das Festschnüren. Ich aber mußte ihm die letzte Zigarette anzünden. Das war so schlimm. Er hat ja nichts mehr gesehen mit der Binde über den Augen. Der Arzt gab ihm eine Spritze ins Herz. Dann wurde geschossen. Seitdem überfällt mich schon ein Zittern, wenn ein anderer eine Zigarette raucht.
Einen der zwei anderen, die erschossen werden sollten, kannte ich. Wir waren eine zeitlang zusammen zur Kirche gegangen. Er kam gerne mit, er war Student. Auf dem Weg zum Gottesdienst entdeckten wir eines Tages Leichen im Wald, darunter einen katholischen Offizier, der dort hinkommandiert worden war und die Kompanie hatte übernehmen sollen. Er war Vater von vier Kindern und hat sich bestimmt nicht selbst erschossen, wie es später offiziell hieß. An ihn mußte ich öfter beim Rosenkranzbeten denken.
Im Krieg, wenn wir jemanden erschießen sollten, hieß es, wir dürften das, weil wir sonst unser eigenes Leben gefährden würden. ARNOLD, Bruder aus einem Dominikaner-Kloster, war dem Großdeutschlandregiment in Berlin zugeteilt und hatte jeden Tag Hinrichtungen durchzuführen. Der Mann verzweifelte, meldete sich freiwillig zur Front und landete später im Militärgefängnis. Im Krieg haben wir immer wieder über dieses Thema diskutiert. Dürfen wir töten? Wer hat die Macht über das Leben eines anderen?


WIR KÖNNEN NICHT GENUG HASSEN ñ NEIN: LIEBEN!

Am Ende des Krieges, 1945, brachen die Russen von Osten aus ein, sie hatten Berlin umgangen. Wir alle saßen in der Klammer. Zu dem Zeitpunkt war ich bei Küstrin, das an der Mündung der Warthe in der Oder liegt, eingeteilt zur Truppenbetreuung. Im ÑVölkischen Beobachterì hatte Goebbels einen Artikel verfaßt über das Thema ÑWir können nicht genug hassenì. Darüber sollte ich einen Vortrag halten. Ich habe das ganze umgedreht in ÑWir können nicht genug liebenì. Ich habe von der Liebe des Augustinus gesprochen. Ein Politoffizier, ein SS-Mann, der mir zuhörte, sprang auf, zielte auf mich mit der Pistole. Aber seine Freundin und die Sekretärin von Dr. Dr. Dunker retteten mein Leben. Sie warfen sich dazwischen und eine riß seinen Arm runter. Sie redeten auf ihn ein. Noch am Abend haben mich der Politoffizier und Dr. Dr. Dunker festgenommen. Ich sollte nun doch noch, aber offiziell, zum Tode verurteilt werden. Tags darauf sollte mich der Politoffizier zum Kriegsgericht nach Flensburg überführen, wohin das Gericht von Berlin aus verlagert worden war. Er hatte Order, noch einen Umweg über das Führerhauptquartier in Berlin zu machen, um für die Truppe Ersatzteile von Funkgeräten und Radios in den Ascaniawerken zu besorgen. Die Funkgeräte und Radios dienten dem ÑEinsatz zur moralischen Wiederaufrüstungì. Zurücklassen mußte ich meine Aktenmappe und mein Fahrrad. Bevor wir mit dem Motorrad nach Berlin fuhren, hatten wir, der Politoffizier und ich, gesehen, daß Dr. Dr. DUNKER, der viele Hinrichtungen durchgeführt hatte, rücklings aus dem Fenster fiel. Er hatte sich mit Zyankali vergiftet. Somit hatte der Politoffizier mehr oder weniger Freiheit und wußte auch nicht recht, was er machen sollte.


IM FÜHRERHAUPTQUARTIER

Unten im Bunker in der Wilhelmstraße trafen wir, der Politoffizier und ich, ARTHUR AXMANN und JOSEPH GOEBBELS, der sich und seiner Familie zwei Tage danach mit Gift das Leben nahm. ADOLF HITLER war in einem Nebenraum. Mein NS-Führungsoffizier sagte: ÑDa sitzt Goebbels mit seiner ganzen Familie, da können wir jetzt nicht rein.ì

E.G.W. und B. sitzen während der Erzählung in Denia zusammen. B. unterbricht, um einige wichtige Details zu erfragen.
B.: ÑArthur Axmann, das war doch der Hitlerjugendführer, der Nachfolger von Schierach.ì
E.: ÑJa, er hat bestimmt tausend Hitlerjungen in Berlin eingesetzt zum Endkampf.ì
E.G.W: ÑWir fuhren also zu Ascania nach Steglitz. Mir hatte ein Offizier an diesem Tag gesagt, es ständen Flugzeuge zur Flucht bereit, die Hitler und seine Eva Braun, die er kurz vor seinem Tode geheiratet hatte, nach Garmisch und weiter nach Brasilien bringen sollten. Alles sei vorbereitet. Der Politoffizier dachte inzwischen auch an Flucht. Er stammte von einem Rittergut bei Berlin hinter Potsdam. Da wollte er hin. Er wußte von zur Flucht bereitgestellten Flugzeugen auf dem Tempelhofer Feld.ì
B.: ÑNoch einmal: Du hattest zu einem Artikel ëWir müssen mehr hassení Stellung genommen und über Augustinus gesprochen. Was waren das für Leute, vor denen du sprachst und in welcher Eigenschaft, als was sprachst du, warst du nur Diskussionsredner oder hattest du den Auftrag, einen Vortrag zu halten?ì
E.G.W.: ÑIch war beim Nationalsozialistischen Führungsstab in der Truppenbetreuung.ì
B.: ÑNSFO?ì
E.G.W.: ÑEin Nationalsozialistischer Führungsoffizier war mein Chef. Der hatte mir den Artikel aus dem Völkischen Beobachter gegeben, ich sollte ihn mir durchlesen. Ich habe gesagt, ihr könnt nicht genug lieben. Um vier Uhr nachmittags hatte ich den Auftrag bekommen und sollte abends den Vortrag halten.ì
B.: ÑWieviel Leute waren das? Alle von der Marine?ì
E.G.W.: ÑNein. Ja, Ehemalige, wir wurden alle zusammengewürfelt.ì
B.: ÑWieso kam der auf dich? Warst du als guter Redner bekannt?ì
E.G.W.: ÑNein, als frommer Mensch. ëDer Klosterbruderí wurde ich genannt. Der wollte mich zu einem Nationalsozialisten machen.ì
B.: ÑWar er ein Überzeugungstäter?ì
E.G.W.: ÑIch kannte ihn zu wenig. Er war kurz zuvor zu uns gestoßen mit seiner Sekretärin.
Ich hatte mir den Aufsatz durchgelesen und gedacht, was für ein Quatsch. Und dann habe ich mir gedacht, so geht das nicht, wir können nicht genug lieben. Wenn wir genug lieben, dann würden wir Frieden schaffen. Es ging ja um den Frieden. Man war ja noch Soldat, um die bolschewistische Plage von unseren Leuten wegzuhalten.ì
B.: ÑDie Russen, die wie ein Unheil über uns herfielen.
Später las ich ein Buch von GERLICH, darin stand: ëDer Kommunismus und Sozialismus waren die Plagen, die über Europa herfielen.í Der Gerlich hat das mit dem Nationalsozialismus verbunden. Beide waren gleich schlecht ...ì
E.G.W.: ÑEr war einer der ersten, der durchsiebt wurde, weil er Schriften gegen Hitler schon 1928 herausgegeben hatte. Ich habe ihn nicht kennengelernt, nur seine Schriften verteilt an der Kirche als Achtjähriger. Der Pfarrer hat uns immer unterrichtet, ein großartiger Mann. Sein Bruder war Landrat hier in Köln gleichzeitig mit Adenauer als Bürgermeister. Gerlich wurde am gleichen Tag wie Klausener am 30. Juni 1934 ermordet.ì
E.: ÑEr war übrigens einer, der mit dem ëSpukí um die THERESE VON KONNERSREUTH aufräumen wollte, dabei aber zum Glauben fand.ì
E.G.W.: ÑWir waren also im Führerhauptquartier. ñ Ich sollte von da hoch in den Norden zum ordentlichen Gericht nach Flensburg (an der Grenze von Dänemark) zur Verhandlung gebracht werden. Die gesamte Militärverwaltung wurde in dieser Zeit von Berlin nach Flensburg verlegt. Admiral Dönitz war als Nachfolger von Hitler benannt. Durch das Eingreifen der beiden Sekretärinnen war meine sofortige, also standrechtliche Erschießung, verhindert worden.ì


IM GEFANGENENTRANSPORT KURZ VOR KRIEGSENDE

Der Offizier lieferte mich befehlsgemäß zunächst in Oranienburg ab. Das liegt nordwestlich von Berlin. Das Konzentrationslager Oranienburg wurde gerade aufgelöst und all die Gefangenen sollten nach Hamburg. Wir waren zufuß von Oranienburg in Richtung Norden unterwegs. Die anderen KZ-ler aus Sachsenhausen und Militärgefangene trugen Ñgestreifte Anzügeì. Ein zusammengewürfeltes Volk, viele waren von ihrer Einheit abgehauen und unterwegs wieder aufgegriffen worden. Tiefflieger schossen auf alles, was sich bewegte.
Im Schloß Ludwigslust bei Heidenau angelangt, wurden wir aufgeteilt. Ich kam in das Lazarett, das heißt, in das beschlagnahmte Schloß. Die meisten mußten auf der Wiese kampieren. Aus dem Keller des Schlosses sollten wir uns Lebensmittel holen. Ich war uninteressiert, ich hatte keinen Hunger. Ein Sanitäter, ein Pater aus Ettal, rief mich zu Hilfe bei einer Entbindung. Ich habe von allem nicht viel gesehen, ich mußte Wasser heiß machen. Wir mußten in der Nacht wieder aufbrechen und die Frau mit ihren drei Kindern zurücklassen. Einer hatte noch aus dem Keller Lebensmittel besorgt und sie zu ihr hingelegt. Sie war die Frau eines Polizeioffiziers aus Berlin, auf der Flucht wurde sie von der Geburt überrascht.
Der Pater hüllte mich in eine Militärjacke, es war ja kalt, und er wollte mir noch eine Pistole in die Hand drücken, aber ich wollte nicht. Dann sind wir, die Gefangenen von Oranienburg, weitergelaufen unter dem Kugelhagel von Tieffliegern. Alle liefen und stolperten über tote Pferde. Die Gefangenen fielen darüber her, schnitten sie auseinander, rösteten und aßen gierig das Fleisch. In einem Wald stieß ich auf meine Division, die Richtung Süden aufgebrochen war. Sie verteilten gerade Lebensmittel ñ unmöglich die eiserne Ration gerecht zu verteilen. In dem Moment aber tauchte Frau Kreuzer auf, eine der beiden Frauen, die dazwischengesprungen waren. Sie hatte meine Edelsteine und mein Fahrrad aufgehoben. ÑHier hast du die Edelsteine, wir werden zu den Amerikanern rübergehen und gegen die Russen kämpfen.ì Ich meinte, wir sollten das Fahrrad vergraben. Habe eine Wurst eingesteckt und die Taschen voll Traubenzucker.
Am anderen Tag wurden wir auf einem Laster abtransportiert. Der Trupp zog weiter. Ich wurde zu einem Kommando eingeteilt, das aus einem Lager noch die ganzen Truppenpapiere herausholen und auf einen LKW verfrachten sollte. Als wir auf dem Hof des Lagers waren, wußten wir nicht, daß die Russen schon hinter uns im Graben lagen. Während wir riesige Kisten aufluden, standen Häftlinge aus dem KZ Oranienburg faul spöttelnd auf dem Wagen und ich, ein junger Kerl, sollte die Kisten von unten auf den Wagen heben. Da hörte ich einen Knall, der Wagen ging hoch, ich lag unter der Kiste. Als ich um mich griff hielt ich den Kopf in der Hand, von dem, der mich gerade noch angemeckert hatte, ich sollte richtig hochheben. Der Wagen hatte einen Volltreffer, das Haus ein Loch.
Ich wußte, wenn die Granaten so schnell kommen, daß man sie nicht mehr hören kann, ist der Feind ganz nah. Also lief ich so schnell ich konnte über Wiesen. Auf einmal galoppierten vom Waldesrand lauter Kühe auf mich zu. Tagelang waren sie nicht gemolken worden. Ich lief und lief, erst vor den Russen, jetzt vor den Kühen über die Koppeln. So bin ich noch nie gelaufen.
Ich kam an eine Brücke, die über einen mecklenburgischen Kanal führte. Da rief einer: ÑMensch, mach schnell, schnell, wir sprengen!ì Alle lagen schon in Deckung. Drüben stieß ich wieder auf den Pater aus Ettal. Er bestürmte mich: ÑSo, jetzt nimmst du aber einen Revolver, haust ab und wirst wieder Soldat.ì Ich sagte: ÑKomm, mir ist das alles so schnuppe.ì Er lud mich auf ein Lastauto, das bis zu einem Wald fuhr. Wir stießen in den Bereich der Amerikaner. Ich wollte zu einem amerikanischen Geistlichen vorpirschen, doch da schrien alle, die Amerikaner würden schon auf mich zielen, denn ich hatte das Sperrgebiet bereits überschritten. Mit erhobenen Händen ging ich wieder zurück zu den Soldaten, zeigte mein Foto aus dem Kloster, woraufhin ich zu dem Geistlichen vorgelassen wurde. Er setzte mich kurzerhand auf seinen Jeep, wie eine Galionsfigur vorne auf den Kühler und hob an zu einer wilden, holprigen Fahrt. Wir erreichten die englische Zonengrenze. An einer Schleuse bei Lauenburg, südöstlich von Hamburg, setzte er mich ab. Der Hühnerstall, in dem ich übernachtete, füllte sich in der Nacht mit geflüchteten Soldaten.
Am frühen Morgen wollten wir über die Elbe schwimmen, doch da warnte der Bauer, es seien schon so viele erschossen worden, die über den Fluß wollten. Flußabwärts aber sei eine Brücke, eine Pontonbrücke, von den Engländern erbaut. Er gab mir Zivilkleider seines Sohnes, der gefallen war. Ich gelangte zur Brücke, wo es hieß, alle deutschen Gefangenen kämen nach Rußland. Ich ging zur Seite. Einer fragte: ÑHast du keine Papiere?ì ÑNeinì, sagte ich, ÑNichts, nur mein Bildchenì ñ ich inmitten der Klosterbrüder ñ, das der amerikanische Geistliche unterschrieben hatte: ÑLaßt ihn laufen, er ist ein KZ-Häftlingì ñ auf englisch: ÑThis people are the political prisoners, who were in german Concentration-camps. Passed them.ì
Über die Brücke durften gruppenweise Niederländer, anschließend die Italiener. Ich gab mich einfach als Italiener aus. Mit ein paar Brocken italienisch sagte ich, ich wäre Mönch von Montecassino und zeigte mein Bild aus dem Kloster. Ich durfte die Brücke passieren in das von den Amerikanern besetzte Gebiet im Westen.


GERETTET

Noch nie habe ich so gejubelt, ging mit tanzendem Schritt, hörte noch einen hinter mir herschreien, aber ich drehte mich nicht um. Drüben wäre ich am liebsten auf die Knie gefallen. Befreite Holländer hatten Militärfahrzeuge gängig gemacht, mit denen sie im Konvoi weiter nach Lüneburg fuhren. Ich wollte mich da im Gefangenenlager melden, denn ich war und fühlte mich ja noch als ein ÑZum-Tode-Verurteilterì. Die hinter dem Zaune riefen: ÑDu bist wohl verrückt, hier kommst du nie mehr raus, wir alle kommen nach Rußland!ì
Erschöpft schleppte ich mich zu der nächstliegenden Kirche in Lüneburg und klopfte bei dem Pfarrer an. Ich bat um Aufnahme. Der aber schickte mich weg. Gegenüber dem Pfarrhaus beobachtete das Geschehen eine Frau. Sie öffnete ihre Türe und nahm mich auf. Ich hatte meine Sprache verloren, brach zusammen und wachte nach drei Tagen dort im Bett auf, umgeben von einem Haufen Kinder. Ihre Mutter hatte mich gepflegt. Eine befreundete Jüdin, die Ñmeine Papiereì eingesehen hatte, brachte Lebensmittel. Sie päppelten mich hoch, brachten mir Kaffee, den ich kannenweise trank.
Später nahmen sie mich mit zur Kirche. Der Pfarrer las das Evangelium und hielt eine Predigt über das Thema ÑOhne Liebe wäre alles nichtsì. Nach der Messe ging ich zu ihm in die Sakristei: ÑKönnen Sie sich noch erinnern, vor drei Tagen stand ich bei Ihnen vor der Tür und hätte nur auf dem Fußboden schlafen wollen, mehr nicht.ì ÑIch weiß ja nicht, wer da kommtì, antwortete der Pfarrer, Ñes gibt so viele Verbrecher.ì Monate später meldete er sich im Kloster Münsterschwarzach und erkundigte sich, was aus mir geworden sei.
Die Jüdin nahm mich mit in ein Kaufhaus, das beschlagnahmt worden war. Da hingen doch wahrhaftig die besten Anzüge. Sie kleidete mich ein. Den Pfarrer fragte ich nach einem Fahrrad. Er verwies mich weiter an einen reichen Mann in der Gemeinde, einen Brauereibesitzer. Den suchte ich auf, denn ich wollte zurück zum Kloster. Er fragte, ob ich etwas zum Tauschen hätte, woraufhin ich ihm einen alten Diamantring anbot. Er verschwand und kam nach einer Weile wieder ñ mit meinem eigenen Fahrrad.
Mit dem Fahrrad radelte ich zuerst zu Pfarrer BODENBURG, der Militärpfarrer in Heidenau gewesen war. Er wollte seinen Bischof in Hildesheim aufsuchen, und bat mich, ihm zu helfen, in seiner Abwesenheit Beerdigungen durchführen. So hielt ich drei Beerdigungen. Ein Pole hatte Lebensmittel geklaut und wurde erschossen. Ein anderer hatte Fernmeldeleitungen abgerissen, auf denen noch Spannung lag. Der dritte war ein Russe. Seine Freundin wollte in das Loch hinterherspringen.
Als der Pfarrer zurückgekehrt war, machte ich mich weiter mit dem Fahrrad auf den Weg zurück ins Kloster Münsterschwarzach, die Taschen vollgestopft mit Dextro-Energeen. Er hatte mir noch BDM-Mädchen und Marinehelferinnen mitgegeben, die ich auf den Weg bringen und beschützen sollte. Eine davon lieferte ich auf dem Weg nach Göttingen ab, eine brachte ich in einen Nachbarort von Gevelsberg und zwei schrieben mir noch später aus Trier.
So kam ich am 28. Mai 1945, zwanzig Tage nach Kriegsende, als Erster in Münsterschwarzach aus dem Krieg zurück. Total verwanzt, verlaust und kaputt. Ein paar alte Brüder, die das Kloster und die Landwirtschaft versorgt hatten, waren noch da. Vater Abt war kurz zuvor wieder eingetroffen.



VERLUST DER RECHTEN HAND
am 21. März 1946

Nach Kriegsende sickerten nur selten Nachrichten ins Kloster durch. Den Vater Abt bat ich, mich nach Berlin zu schicken, um nach meinen Eltern sehen zu können. In Berlin war alles zerstört. Viele waren verzweifelt, so manche begingen Selbstmord. Es war sehr schlimm. Die Eltern waren erschüttert, als ich ankam. Der Vater hatte sich noch tags zuvor mit Selbstmordgedanken getragen, als ein Carepaket aus Amerika von den Eltern eines Mönchs aus Münsterschwarzach eintraf.
Meine Eltern wurden mehrmals ausgebombt. Hinter dem Grundstück meiner Eltern mit dem Gartenhaus, in das sie geflüchtet waren, befand sich ein russisches Lazarett, eine Art ÑRotes Kreuzì. Die Russen hatten das Stromkabel von unserem Haus, das sie kurze Zeit bewohnt hatten, abgelöst und in das Lager geleitet. Von den Russen erbat sich meine Mutter eine Sicherung, die bei uns defekt war.
Meine Mutter, die durch einen Sturz ñ ein Russe hatte sie von dem Dachboden der Scheune gestoßen ñ stark verletzt war, drängte mich, unsere Sicherung gegen diese auszutauschen. Ich war schon zu müde und bat sie, bis zum nächsten Morgen nach der Messe zu warten. Als ich am nächsten Tag aus der Messe kam, hielt sie mir schon die Sicherung entgegen. Ich wunderte mich, daß das Ding so schwer und mit einem Knopf versehen war. Ich wollte die Sicherung einsetzen, drückte auf den Knopf, es gab einen Knall, und meine rechte Hand war weg. Nur mein Daumen war noch da. Ich rannte, ohne ein Wort zu verlieren, zum Arzt, der neben dem Pfarrer wohnte. Er war so geschockt und verdattert, daß das Abbinden nicht klappte. Auf der Straße kam zum Glück ein Mann mit einem Dreirad vorbeigeradelt, der mich auf seiner angehängten Kiste nach Lichtenfelde bringen wollte. Ein Amerikaner sah mich in der Lache Blut stehen, lud mich auf seinen Jeep und fuhr mich zum nächsten Lazarett. Kein Arzt in drei Krankenhäusern. Am Tempelhoferfeld aber stand noch das Josefskrankenhaus am Flughafen. Der Arzt legte mich auf den Operationstisch und fragte, wer ich sei. Ich sagte: ÑSchneiden Sie ab, ich bin Maler.ì Das war das letzte, dann wurde ich ohnmächtig.
Das war 1946, eine schlimme Zeit. Wir lagen in großen Sälen in Betten oder auf der Erde. Nachts kamen noch Mädchen von draußen geflüchtet und versteckten sich bei uns, weil die Russen alles, was sie aufgabelten, vergewaltigten. Einen Tag später schon schrieb ich einen Brief ans Kloster mit der linken Hand. Ich war also das Opfer einer getarnten russischen Sprengkapsel geworden.
Kurz bevor ich meine Hand verlor, hatte ich eine wunderbare Kommunion erlebt. Ich wollte mich dem Heiland voll und ganz hingeben. Als ich dann eine halbe Stunde später meine Hand verlor, war ich noch so sehr beeindruckt, daß ich dachte:
ÑLieber Gott, ist schon recht, jetzt muß ich Maler werden.ì
Verwundet kehrte ich nach Münsterschwarzach zurück. Nach ein paar Tagen drängte ich den Abt, mir die Erlaubnis zu geben, den Chirurgen Professor SAUERBRUCH in München aufsuchen zu dürfen. Sauerbruch sah sich meinen Arm an und meinte: ÑDas muß mindestens ein Jahr heilen, bevor etwas gemacht werden kann. Ich würde vorschlagen, Elfenbeinstäbchen in den Muskeln anzubringen, damit das Greifen mit einer Prothese möglich wird.ì Ich bekam einen Behelf. ñ Im Laufe der Jahre aber habe ich mir Prothesen kistenweise gebaut. ñ Zurück aus München hoffte ich, jetzt würde mich der Abt malen lassen. Er aber bestand auf der Weiterarbeit in der Goldschmiede.


MEIN ERSTES WERK MIT EINER HAND ñ EINE PAXTAFEL

Nach 14 Tagen, in denen ich nichts geschaffen hatte, kam der Abt und sagte:
ÑMachen Sie mal etwas, was Ihnen Freude macht. Sie können machen, was Sie wollen.ì Ich sagte ihm, ich würde gerne eine Paxtafel anfertigen. Eine Paxtafel wurde früher den Mönchen in der Messe zum Friedenskuß nacheinander gereicht. ÑJa, machen Sie die schönste Paxtafel, die Sie machen könnenì, und er riet mir, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen. ÑAber lesen Sie erst einmal Literatur darüber.ì ÑVater Abt, das habe ich schon.ì ÑWas, ñ alles können Sie schon. Das ist ja unerträglich mit Ihnen.ì Ich bot ihm an, alle Bücher zu bringen, die ich über Paxtafeln gelesen hatte, ging in die Bibliothek und suchte einen Wäschekorb voller Bücher zusammen. Der Abt dachte, ich wollte ihn veräppeln, als er die vielen Bücher sah, lenkte dann aber ein: ÑGehen Sie in die Werkstatt und beginnen Sie mit ihrem Werk.ì Keiner durfte mir helfen. Innerhalb von vier Wochen entwarf und fertigte ich sehr sorgfältig eine Paxtafel. Sie ist zwei Hand breit groß, in Metall getrieben, mit aufgelöteten Emailbildern und einem geschwungenen rückwärtigen Griff versehen.
Eva: ÑWoraus bestand diese Tafel, die du gemacht hast?ì
E.G.W.: ÑAus den zwölf Aposteln. In der Mitte der Kristall, ein Rauchquarz, stellt Jesus dar. Mein Stumpf war ja noch ganz weich und schmerzte sehr. Ich versuchte, möglichst alles so umzubauen, daß ich es mit einer Hand bedienen konnte. Es gelang mir, daß ich die ganze Paxtafel mit allem, was ich dazu brauchte, alleine schaffte. Das ist, glaube ich, mein schönstes Stück geworden.ì
Eva: ÑWo ist sie denn jetzt?ì
E.G.W.: ÑSie liegt im Tresor in Münsterschwarzach in der Goldschmiede.
Eva: ÑSind denn Abbildungen davon gemacht worden?ì
E.G.W.: ÑJa. Endlich war ich frei gewesen, zu machen, was ich wollte. Alle Emailles habe ich in vier, fünf Tagen gemacht.ì
Eva: ÑMit diesem wunden Stumpf?ì
E.G.W.: ÑDas war kein Problem, schlimmer war es, die große Schale zu hämmern. Im Kloster hatte ich ja die Technik der Granulation mit Silber entwickelt. Die Paxtafel hat damals zweihundertfünfzig Mark gekostet, heute würde sie zweitausendfünfhundert Mark kosten.ì
Eva: ÑDie wurde herumgereicht bei den Mönchen während der Messe?ì
E.G.W.: ÑZum Friedenskuß bei der Kommunion, wo ich das unverschämte Wort geprägt habe ÑKußmaschineì.
Eva: ÑDu bist jedenfalls glücklich, daß Du die Paxtafel geschaffen hast.ì
E.G.W.: ÑDa hat der liebe Gott die Hand geführt.
Ich glaube, jeder hat seine Aufgabe. Der, der das Leid zu tragen hat und der, der die Freude zu tragen hat. Das Leid annehmen, dem Schöpfer vertrauen. Ich glaube, ich hätte heute nicht mehr den Mut, mich dem lieben Gott so wie ein junger Mensch hinzugeben: ÑEr wird alles schon richtig machen.ì


IN DER GOLDSCHMIEDE

In einem kleinen, unscheinbaren Gebäude in dem Komplex der Klosteranlage führt eine schmale Holztreppe zur Goldschmiede, wo öfter mal Besucher hinfanden.
Regens DÖPFNER, der von 1958 bis 1957 Bischof von Würzburg war, späterer Kardinal, kam immer zu uns ins Kloster zur Beichte. Seine Danksagung hielt er still in einem Raum neben der Goldschmiede, in dem ich die Edelsteine aufbewahrte. Er setzte sich danach manchmal zu mir an den Arbeitstisch und wir plauderten.
Zu der Zeit wurde Regens Döpfner zum Bischof von Würzburg ernannt, und Architekt SCHÄDEL, sein Diözesanbaumeister, baute die St. Alfonskirche, die von den Würzburgern ÑSprungschanzeì genannt wird. Die große Rückwand, innen über dem Altar in St. Alfons, malte und gestaltete GEORG MEISTERMANN. Mit ihm arbeitete ich später, 1957, in Solingen gleichzeitig an der Inneneinrichtung der St. Michaelskirche. Meistermann setzte sein großes Seitenfenster mit dem Motiv der Dreifaltigkeit im Altarraum ein. Mit fast allen weiteren Einrichtungen wurde ich vom Pallottinerorden 40 Jahre lang beauftragt.
Später erfuhr ich, Döpfner habe so gerne mich, die ÑBerliner Schnauzeì gehört. Ich erzählte ihm von meinen Bildern, von Nolde. Auch den späteren Prälaten MAX RÖSSLER lernte ich hier kennen, der mir bei einem seiner ersten Besuche im Kloster ein kleines Buch über den Künstler VERMEER schenkte mit dem Eintrag: ÑKunst ist gestaltete Sehnsucht.ì


DER ÑHEILIGE GEHORSAMì ñ
MEIN WUNSCH, MALER UND BILDHAUER ZU WERDEN

Eines Tages überraschte mich mein Kriegskamerad EWALD JORZIG im Kloster. Er überzeugte den Abt, mich auf die christlich orientierte Werkkunstschule in Köln schicken zu müssen. Der Abt verbot mir, weiterhin zu malen. Er meldete mich deshalb in der Goldschmiedeklasse an. Dort studierte ich von 1947ñ1949.
B.: ÑEs ist risikoreich, sich unter den Befehl anderer zu stellen, weil man sein eigenes Leben leben muß.ì
E.G.W:. ÑJa, was mir sehr große Sorgen macht, ist der Heilige Gehorsam. Gehorsam ist, auf Gott hören, horchen, nicht seinen eigenen Willen ausführen, sondern den Willen Gottes. Aber wo ist der Wille Gottes?ì
B.: ÑDen mußt du erstmal erkennen.ì
E.G.W.: ÑIch habe immer gesagt, wenn der liebe Gott mich als Maler und Bildhauer haben will, können sich der Abt und alle auf den Kopf stellen, dann werde ich Maler und Bildhauer. Und ich landete in der Landwirtschaft, ich landete in der Küche ...ì
B.: ÑDu warst dir immer bewußt, ëich will Künstler werdení.ì
E.G.W.: ÑIm Hintergrund stand es wie ein Gebet, wie ein Glaube. Wenn ich die Möglichkeit hatte, gezeichnet habe ich immer, selbst auf dem stillen Ort. Aber eine innere Stimme drängte mich, du mußt lernen. Ohne Lehre in der Malerei, Bildhauerei geht es nicht, das war mir klar. Ich ging immer zu den Patres und Brüdern, die Bildhauer waren. Bei denen lernte ich viel.
Wenn einer eine Kunstschule besucht, erfährt er die Grundregeln der Kunst, der Formen, der Disziplinen, der Architektur. Eines Tages konnte ich selber auf die Kunstschule nach Köln gehen. Das war eine selige Sache, aber auch eine Erfüllung, der liebe Gott hat mich dahin haben wollen. Ich war beflügelt, war mir sofort sicher, daß meine Bilder so sind, wie sie sind. Ob das geklaute Ideen aus der Romanik sind oder so, das beschäftigt mich manchmal, aber ich bin mir ungeheuer sicher. Alles läuft mir so aus der Feder, ohne Anstrengung.


MÖNCHE UND MEDIEN ñ DAFÜR FEHLT DER PROPHET

Wie kann man heute die Welt wieder neu bewegen, wie gegen die Medien auftreten? Das Kloster hat eine Druckerei ñ gut ñ die Schriften, die haben Qualität. Aber was ist das gegen die Übermacht der modernen Medien! Es gibt zu wenig Menschen, die sich für den Klosterberuf entscheiden. Andere Länder wie Indien und Korea werden jetzt hochkommen. Wenn sie die gleiche Kultur mit Video und Fernsehen überrollt, macht es die Menschen genauso kaputt wie bei uns. Es sei denn, diese Mönche würden die Medien übernehmen und religiöse und gläubige Qualität verbreiten.